Teil 3: Wie eine nachhaltige Sicherheitsarchitektur, internationale Übergangsmodelle und politische Reformen aussehen müssten: sicherheitspolitische Überlegungen zwischen Realismus und Vision.
Von unserer Autorin Dr. Désirée Kaiser

Nach dem Schock des 7. Oktober 2023 und der darauffolgenden Eskalation stellt sich die sicherheitspolitisch entscheidende Frage: Welche Szenarien können langfristig Stabilität schaffen und zugleich den legitimen Sicherheitsinteressen Israels und den politischen Rechten der Palästinenser gerecht werden? Dieser Artikel konzentriert sich auf die sicherheitspolitischen und governance-orientierten Ansätze, die notwendig wären, um aus der Gewaltspirale auszubrechen und eine nachhaltige Entwicklung – ökonomisch sowie gesellschaftlich – zu gewährleisten.
Sicherheitsgarantien und Präventionsstrategien
Jedes Zukunftsszenario muss die Sicherheitsinteressen Israels berücksichtigen, welche den Schutz vor Raketenangriffen, Terroranschlägen und feindlichen Nachbarakteuren beinhalten. Gleichzeitig ist klar, dass Sicherheit nicht allein militärisch hergestellt werden kann. Prävention, vertrauensbildende Maßnahmen und regionale Sicherheitsarchitekturen – etwa durch multinationale Missionen oder internationale Garantien – sind entscheidende Elemente. Die Frage, ob Israel bereit ist, bestimmte sicherheitspolitische Kompetenzen temporär an internationale Akteure zu delegieren, könnte zum Lackmustest jeder Friedenslösung werden.
Governance-Optionen für Gaza
Für Gaza stehen mehrere Modelle im Raum: zum einen die Installation einer internationalen Übergangsverwaltung (unter UN- oder arabischem Mandat), zum anderen eine Rückkehr der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) nach umfassender Reform oder hybride Strukturen, in denen lokale Verwaltungen unter internationaler Aufsicht agieren. Aus sicherheitspolitischer Sicht ist entscheidend, dass jede Lösung klare Mechanismen für Entwaffnung, Überwachung und den Schutz der Zivilbevölkerung bietet. Ohne robuste Sicherheitsstrukturen droht eine Machtübernahme durch Milizen oder kriminelle Netzwerke.
Die Palästinensische Autonomiebehörde hat in den letzten Jahren massiv an Vertrauen verloren. Für eine tragfähige Zukunft braucht es demokratische Erneuerung, transparente Sicherheitsorgane und institutionelle Stabilität. Aus Sicht von Sicherheitsanalysten ist es zudem zentral, dass die PA oder eine reformierte PLO nicht nur politische, sondern auch sicherheitliche Verantwortung übernehmen kann. Dies erfordert internationale Ausbildungshilfen, Reformprogramme und eine enge Kooperation mit Nachbarstaaten.
Israels Kurskorrekturen
Israel wird nicht umhinkommen, sein eigenes sicherheitspolitisches Konzept langfristig zu überprüfen. Eine rein militärische Eindämmungspolitik gegenüber Gaza ist weder nachhaltig noch international konsensfähig. Eine neue Strategie könnte ein Moratorium für den Siedlungsbau, eine definierte Exit-Strategie in Gaza und eine stärkere Einbindung internationaler Partner umfassen. Für sicherheitspolitische Diskussionen ist zudem interessant, wie Israel seine innere Polarisierung und das Vertrauensdefizit in der eigenen Sicherheitsarchitektur nach dem 7. Oktober überwinden kann.
Regionale und internationale Dynamiken
Ohne die Einbindung der arabischen Nachbarn, der USA und der EU wird es keine stabile Sicherheitsordnung geben. Die USA bleiben zentraler Sicherheitsgarant für Israel, könnten jedoch gemeinsam mit europäischen und arabischen Akteuren eine regionale Sicherheitsarchitektur anstoßen, die nicht nur Gaza, sondern auch das Westjordanland umfasst. Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien spielen dabei eine Schlüsselrolle. Für ein sicherheitspolitisches Forum ist besonders relevant, wie diese Staaten bereit sind, eigene Sicherheitsressourcen – etwa Grenzsicherung oder Ausbildungsmissionen – einzubringen.
Realistische Szenarien
Kurzfristig ist ein umfassender Geisel-Deal mit einer längeren Waffenruhe denkbar, flankiert von einer humanitären Offensive. Mittelfristig könnte ein Sicherheitsregime mit internationaler Beteiligung, begleitet von PA-Reformen und Wahlen, entstehen. Langfristig stellt sich die Frage, ob eine Zwei-Staaten-Lösung noch realisierbar ist oder ob alternative Modelle – wie Konföderationen oder internationale Treuhandlösungen – sicherheitspolitisch praktikabler wären.
Dieser Artikel macht deutlich: Sicherheit ist nicht nur das Ergebnis militärischer Stärke, sondern eines komplexen Zusammenspiels von Governance, regionaler Kooperation und politischer Legitimität. Für sicherheitspolitische Entscheidungsträger ist die Kernfrage, ob Israel, die Palästinenser und internationale Akteure bereit sind, ein neues Sicherheits- und Verwaltungsmodell zu entwickeln, das die Fehler der vergangenen Jahrzehnte überwindet.
Dr. Désirée Kaiser ist Lehrbeauftragte am Institut für Orient- und Asienwissenschaften der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und gründete Ende 2024 die Consulting-Agentur »Future Focus MENA«.
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