Merz in Portas
Fotograf: Sandro Halank/ Lizenz: CC BY-SA 4.0
Ein Kommentar von unserem Autor Rolf Clement –
Es hat schon Tradition: Die erste Auslandsreise eines neu gewählten Bundeskanzlers führt nach Paris – so wie umgekehrt die erste Reise eines neu gewählten französischen Präsidenten nach Deutschland geht, früher nach Bonn, heute nach Berlin. So eilte auch Bundeskanzler Friedrich Merz zuerst nach Paris, obwohl er bereits während der Regierungsbildung mehrfach Kontakt zu Frankreichs Präsident Macron hatte. Doch er setzte einen neuen Akzent: Am selben Tag reiste Merz weiter nach Warschau, um auch dort seinen Antrittsbesuch zu machen.
Dass die ersten Amtstage von Friedrich Merz einen stark außenpolitischen Schwerpunkt hatten, war auch dem Terminkalender geschuldet: In den Tagen um den 8. und 9. Mai wird in vielen Ländern an das Kriegsende 1945 erinnert – in unterschiedlichen Konstellationen und mit verschiedenen Akzenten. Es ergaben sich zahlreiche Treffen, die für Gespräche genutzt werden konnten.
Merz ist nicht nur gereist. Dass Außenpolitik seine Domäne ist, hat er auch in seiner Regierungserklärung unter Beweis gestellt, die sich zu Beginn und recht ausführlich mit der Lage in Europa befasst. Auch die Personalauswahl unterstreicht dies: Außenminister Wadephul war bereits in der Oppositionszeit sein diplomatischer Adjutant. Nun ist es seine Aufgabe, die von Merz konzipierte Außenpolitik zu vertreten und umzusetzen.
Merz setzte auch inhaltlich klare Zeichen. Die deutsche Außenpolitik wirkte in den letzten Jahren konturenlos, weil der ehemalige Kanzler so sehr auf „Besonnenheit“ setzte, dass sie mutlos erschien. Vor allem das deutsch-französische Verhältnis, das bereits unter Angela Merkel litt, war von Gesprächslosigkeit geprägt: Frankreich erhielt keine Antworten auf seine Initiativen, und Berlin entwickelte keine eigenen.
Merz hat in kürzester Zeit die deutsche Rolle in der Welt neu definiert. Er will gemeinsam mit europäischen Staaten agieren, legt sich dabei aber auch klar inhaltlich fest: Deutschland steht mit seinen europäischen Partnern eindeutig an der Seite der Ukraine. So haben die vier großen europäischen Staaten – Frankreich, Polen, Großbritannien und Deutschland – ein Ultimatum formuliert, dem zufolge Russland einem Waffenstillstand im Krieg mit der Ukraine zustimmen müsse. Damit wurde der Druck auf Moskau erhöht. Allerdings fehlt zum Redaktionsschluss dieses Newsletters noch die Einlösung der angedrohten neuen Sanktionen für den Fall der Ablehnung. Hier muss noch nachgelegt werden, um das Momentum nicht zu verlieren. Wenn die vier Europäer dabei auch die Sicherheit der Ostsee und die dort kreuzenden „verbotenen Schiffe“ im Blick haben, setzen sie den richtigen Hebel an. Die hybride Kriegsführung, die Russland schon länger betreibt, wird endlich thematisiert und bekämpft.
Auch im Nahen Osten bezieht die neue Regierung klare Position: Deutschland steht an der Seite Israels. Auf dieser klaren Grundlage werden dann Positionen entwickelt, die versuchen, unsere Wertvorstellungen auch dort zur Geltung zu bringen.
Merz bemüht sich zudem um ein realistisches Verhältnis zur US-Administration unter Donald Trump. Das ist nicht einfach: Zunächst unterstützt die US-Regierung das Ultimatum an Russland, dann relativiert sie ihre Unterstützung wieder – nur um schließlich zu erfahren, dass Russlands Machthaber Putin das von ihm selbst vorgeschlagene Gespräch mit der Ukraine in Istanbul doch nicht führen will. In einem solchen Umfeld klare Kante zu zeigen, ist schwer, aber notwendig.
Das sogenannte „Weimarer Dreieck“, mit dem Frankreich, Polen und Deutschland seit den 1990er-Jahren – mal mehr, mal weniger intensiv – ein Forum der Zusammenarbeit bildeten, wurde wiederbelebt. Es ist Friedrich Merz’ Verdienst, dass daraus nun ein Weimarer Quartett geworden ist – Großbritannien ist dabei. Natürlich liegt das auch daran, dass die Regierungschefs der vier Länder ähnlich „ticken“, doch es braucht immer jemanden, der den Anstoß gibt, es auch umzusetzen.
Gerade das Weimarer Quartett macht deutlich, dass die bestehenden Strukturen für wirksames Handeln nicht mehr ausreichen. Wer die Ukraine-Politik in den Gremien der EU abstimmen will, wird keine klare Position erreichen. Zu viele Interessen stehen einer eindeutigen Unterstützung der Ukraine entgegen.
Das ist keine neue Entwicklung. Seit vielen Jahren schon wirkt die EU-Außenpolitik konturenlos oder nicht durchsetzungsfähig, weil keine tragfähigen Mehrheiten für eine stringente Linie zustande kommen. Jetzt zeigt sich, dass eine klare Positionierung nur noch durch eine „Koalition der Willigen“ möglich ist. Das Weimarer Quartett ist eine solche Koalition, die jetzt zu agieren beginnt. Das wird Wirkung zeigen – auf Russland, aber auch auf die EU.
Schon oft wurde diskutiert, ob die EU – ähnlich wie die UNO – einen Sicherheitsrat braucht. De facto hat sich ein solcher gebildet, nun sogar unter Mitwirkung Großbritanniens. Das zeigt: Außenpolitische Themen scheinen sich nicht gut für die bestehenden EU-Strukturen zu eignen. Dem muss man auch Rechnung tragen.
Der Kohärenz der EU-Außenpolitik droht weiteres Ungemach. Der Südosten der EU – vor allem, wenn die Präsidentschaftswahlen in Rumänien entsprechend ausgehen – entwickelt sich zunehmend autokratisch. Ungarn, Bulgarien, die Slowakei und eben Rumänien bilden eine Gruppe, deren Politik kaum mit den EU-Werten vereinbar ist. Und auch anderswo droht Instabilität: Italien, ein Post-Macron-Frankreich und die Niederlande verschärfen die ohnehin ungemütliche innere Lage der EU. Es gilt, schnell und nachhaltig gegenzusteuern. Auch deshalb ist es wichtig, dass Deutschland im Zentrum solcher Bemühungen steht.
In all den Diskussionen der letzten Wochen spielte die Südflanke der EU keine wesentliche Rolle. Auch dort gibt es Probleme – wenngleich der Migrationsdruck aus dem Süden derzeit eher abnimmt.
Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik hat sich nach dem Regierungswechsel eindrucksvoll zurückgemeldet. Saßen beim Begräbnis von Papst Franziskus neben US-Präsident Trump und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj „nur“ Macron und Stamer im Petersdom, so ist eine solche Runde inzwischen ohne Merz kaum mehr denkbar. Die Bundesregierung muss nun liefern – im Inneren wie im Äußeren. Dabei muss sie sich auch der Frage stellen, wie eine europäische Außen- und Sicherheitspolitik künftig organisiert werden kann. Die bestehenden EU-Gremien scheinen dafür nicht geeignet zu sein.
Rolf Clement ist einer der profiliertesten sicherheitspolitischen Journalisten Deutschlands. Clement war viele Jahre Sonderkorrespondent für Sicherheitspolitik und Mitglied der Chefredaktion des Deutschlandfunks. Seit 2017 arbeitet er als freier Journalist, unter anderem für den TV-Sender Phoenix sowie die Fachzeitschrift Europäische Sicherheit & Technik. Darüber hinaus lehrte er an der Hochschule des Bundes in Brühl bei Köln. Vor kurzem ist er zum 2. Vorsitzender des Sicherheitsforum Deutschland gewählt worden.