Ein Kommentar von unserem Autor Dr. Klaus Olshausen
In der hitzigen Debatte zum Wehrdienst, ja zur Wehrpflicht, stand nicht im Mittelpunkt, was die Sicherheit erfordert, sondern was wir den jungen Männern zumuten können – ja, wie wir sie mit „Angeboten“ gewinnen können. Und das vor dem Hintergrund einer Bedrohung, die in derselben Woche von BND, Verfassungsschutz und MAD plastisch vorgetragen wurde.
Zusammenfassung
Fähigkeitsprofile für die Gesamtverteidigung Deutschlands im Bündnisrahmen sind klar und akzeptiert. Und die Ukraine lehrt, dass für wirksame Abschreckung nicht nur die Worte gelten: „Kämpfen zu können, um nicht kämpfen zu müssen“, sondern vor allem der anschließende Halbsatz: „Kämpfen zu können – und zu wollen, wenn man kämpfen muss.“
Hier wird deutlich, wie abgehoben und ohne Orientierung an Wirklichkeiten die moralisch aufgeladene Kritik am Wort und an der Substanz der „Kriegstauglichkeit“ ist. Und wenn die EKD dann noch dem Wehrdienst die sogenannten „Friedensdienste“ gegenüberstellt, wird unterschlagen, wie wichtig ein kompetenter Wehrdienst gerade für den Frieden ist.
Die beste Grundlage für eine wirkungsvolle Abschreckung bleibt die Tauglichkeit nach Können und Wollen, sich im Krieg zu behaupten und den Angreifer zurückzuweisen. So ist der derzeit gerne zitierte Satz von Willy Brandt – „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“ – zu ergänzen durch die Erkenntnis: „Ohne Sicherheit ist der Friede in Gefahr.“
Analyse
In der vergangenen Woche haben die Debatten und Auseinandersetzungen um den künftigen Wehrdienst für eine erfolgreiche Abwehrbereitschaft unserer Gesellschaft an Intensität und Schärfe zugenommen. Auslöser war das Einbringen des Gesetzentwurfs der Regierung zum künftigen Wehrdienst.
In derselben Woche erläuterten die Präsidenten der Sicherheitsbehörden – BND, Verfassungsschutz und MAD – in einer öffentlichen Anhörung im Bundestag die real existierende und absehbare Bedrohung, insbesondere durch das imperial handelnde Russland. Alle ließen dabei keinen Zweifel, dass Russland mit nicht-kinetischen militärischen, aber auch vielen nicht direkt militärischen Maßnahmen Deutschland wie das ganze westliche Europa schon heute provoziert und testet, ob und wie sie sich gegen unterschiedliche Angriffe wehren können – und wehren wollen.
Seit fast vier Jahren zeigt Russland, dass es seine revisionistisch-imperialen politischen Zwecke auch mit einem brutalen Angriffskrieg gegen die freie, demokratische und souveräne Ukraine durchsetzen will. Die NATO-Staaten haben deshalb in den vergangenen Jahren wieder detaillierte regionale Verteidigungspläne aufgestellt. Daraus ergibt sich für jedes Land ein Fähigkeitsprofil, dem auch Deutschland zugestimmt hat.
Neben den militärischen Anforderungen wurden auch gesamtstaatliche und gesellschaftliche Maßnahmen in den Blick genommen, damit die geplante Gesamtverteidigung jedes Landes Angriffe jeder Art – also militärisch oder nicht-militärisch – erfolgreich abwehren und den Angreifer in seine Schranken verweisen kann. Jede erfolgreiche Abschreckung lebt davon, dass der Angreifer erkennt, dass er sich gegen die vorhandene Abwehrmacht nicht durchsetzen kann und die Verteidiger überzeugt sind, dass sie jeden Abwehrkampf gewinnen können.
Das verlangt, die Abschreckung vom Krieg her zu denken. Nur und erst, wenn man überzeugt ist, dass die eigene Gesamtverteidigung jeder Kriegshandlung erfolgreich begegnen kann, kann man bei den heutigen und absehbaren Bedrohungen durch Russland politische und diplomatische Wege beschreiten, die feindliche Absichten Putins eingrenzen und ihn zur Überprüfung seines imperialen Handelns veranlassen können.
Wir müssen also die zur Standardformel erstarrte Feststellung der Abschreckung – „kämpfen zu können, um nicht kämpfen zu müssen“ – um die entscheidende Aussage erweitern: „kämpfen können – und wollen, wenn man kämpfen muss.“
Im Angesicht des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wird dies praktisch sichtbar. Die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine im Februar 2022 und die schon vor dem Kriegsausbruch ausgeschlossene kollektive Selbstverteidigung der westlichen Staaten bewirkten offensichtlich keine glaubwürdige Abschreckung Putins vor seinen imperialen Schritten. Aber nachdem die Abschreckung gescheitert war, galt für die Menschen in der Ukraine ab Tag eins, kämpfen zu wollen – und zu kämpfen mit dem, was sie eben hatten und was ihnen andere Länder und Menschen gegeben haben – und weiter geben.
Es ist offensichtlich, dass ein Abwehrerfolg der Ukraine um vieles wahrscheinlicher gewesen wäre, wenn das Land vorher – auch mit Freunden und Partnern – seine Kriegstauglichkeit hergestellt hätte.
Dieses Beispiel der letzten Jahre macht deutlich, wie moralisch abgehoben und ohne Orientierung an Wirklichkeiten die Kritik an dem Wort „Kriegstauglichkeit“ ist, das Minister Pistorius benutzt hat, um die Herausforderung klar zu benennen – und nicht hinter dem weicheren Begriff „verteidigungsfähig“ zu vernebeln.
Denn nur, wenn Russland weiß, dass wir einen von ihm aufgezwungenen Krieg erfolgreich abwehren können, weil wir unsere kriegstaugliche Gesamtverteidigung hergestellt haben, kann Putin seine revisionistischen Absichten und sein Handeln verändern. Dann – und nur dann – können politische Gespräche und diplomatische Initiativen versuchen, eine internationale Ordnung wieder zu festigen.
Ebenso untauglich ist die Gegenüberstellung von „Wehrdienst“ und „Friedensdiensten“. Soll das heißen, dass unser Wehrdienst nicht dem Frieden dient? Im Sinne der Vorbereitung einer Gesamtverteidigung für den Frieden gibt es militärische, nicht-militärische und zivile Aufgaben. Die einen sind dem Frieden ebenso verpflichtet wie die anderen.
Deshalb ist es unredlich, wenn die EKD den Wehrdienst verbal allen anderen Friedensdiensten entgegensetzt. Dass die Gesamtverteidigung neben den Soldaten und ihren Streitkräften vielfältige andere Gruppen in Staat und Gesellschaft zu einem funktionsfähigen Ganzen zusammenführen muss, kann in den seit 2024 verfügbaren Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung und den Arbeiten am „Operationsplan Deutschland“ nachgelesen werden.
Die Aussagen und Einschätzungen zur heutigen und absehbaren Bedrohung durch die deutschen Sicherheitsbehörden unterstreichen die Notwendigkeit, den Aufbau und Ausbau der militärischen und zivilen Fähigkeiten rasch und mit großer Energie voranzubringen.
Die beste Chance für eine wirkungsvolle Abschreckung bleibt die Tauglichkeit nach Können und Wollen, sich im Krieg zu behaupten und jeden Aggressor zurückzuweisen.
Angesichts der Anforderungen an alle Teile von Staat und Gesellschaft sollte man endlich aufhören, die erforderliche Kriegstauglichkeit als „Kriegstreiberei“ zu diffamieren und dem Wehrdienst dann auch noch sogenannte Friedensdienste entgegenzustellen.
Der in diesen Tagen häufig zitierte Satz von Willy Brandt – „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“ – ist zu ergänzen durch die Erkenntnis: „Ohne Sicherheit ist der Friede in Gefahr.“
Über den Autor: Generalleutnant a.D. Dr. Klaus Olshausen war von 2006 bis 2013 Präsident der Clausewitz-Gesellschaft. Zuvor war er Deutscher Militärischer Vertreter im Militärausschuss der NATO, bei der WEU und EU, HQ NATO, Brüssel. Dr. Olshausen gehört dem Fachbeirat des Sicherheitsforum Deutschland und ist Mitbegründer dieser Initiative.


Schreibe einen Kommentar