„Frieden durch Stärke“ – was braucht es, um die Bundeswehr bis 2029 vollumfänglich auszurüsten? 

Ein Beitrag von Dr. Hans C. Atzpodien, Hauptgeschäftsführer BDSV e.V., Berlin

Immer wieder hören wir das aktuelle Motto „Peace through strength“ oder „Frieden durch Stärke“. Die darin steckende politische Einsicht ist der inzwischen unabweisbaren Tatsache geschuldet, dass friedenssichernde Institutionen wie die Vereinten Nationen zu „zahnlosen Tigern“ geworden sind und die seit der KSZE auf Verträgen aufbauende europäische Friedensordnung in den letzten Jahren – vor allem 2022 – brutal gebrochen wurde. Dieser Tatsache müssen wir uns stellen – und tun es ja in Deutschland auch.

Die der NATO gegenüber bis 2035 versprochene Steigerung unserer Verteidigungsausgaben auf 3,5 % unseres Bruttoinlandsprodukts (BIP) wollen wir bereits 2029 erreichen. Allein von jetzt bis zum Ende des Jahres 2029 wollen wir rund 275 Mrd. Euro für Rüstung ausgeben – davon 200 Mrd. Euro aus den regulären Verteidigungshaushalten und 75 Mrd. Euro aus dem 2022er Sondervermögen. Hinzu kommen noch die Ukraine-Hilfen sowie die Aufwendungen für die Erneuerung militärisch relevanter Infrastruktur. Allein im Jahr 2029 werden rund 40 % des Bundeshaushalts für Verteidigung und militärisch bedeutsame Infrastrukturmaßnahmen aufgewendet werden.

Nach Einschätzung des Kiel-Instituts kann eine in der EU wirksame Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 3,5 % des BIP das europäische BIP insgesamt um 0,9 % bis 1,5 % steigern. Wir reden bei den Rüstungsausgaben also – wenngleich aus bedauerlichem geopolitischem Anlass – über ein gewaltiges Konjunkturprogramm, das uns zudem in einer Phase trifft, in der einige Branchen – unter anderem die Automobilzulieferindustrie – Auslastungsprobleme haben. Daher gilt es, alle verfügbaren Produktivkräfte bestmöglich zu bündeln, um den Output an Rüstungsgütern aus heimischer Produktion schnellstmöglich hochzufahren.

„Schnellstmöglich“ bedeutet, dass nach den Planungsvorgaben der NATO und den daraus abgeleiteten Beschaffungszielen der Bundeswehr viele Güter spätestens bis 2029 bei der Truppe zulaufen müssen. 2029 ist – nach vielfach wiederholten Aussagen unserer obersten Sicherheitsorgane – der Zeitpunkt, zu dem man Russland zutraut, seine offensichtlich aggressive Haltung in vollem Umfang der NATO zuzuwenden. Sicherheitspolitische Warnsignale in Form bekannter „Nadelstiche“ erleben wir ja bereits heute.

Hier stehen die Systemhäuser der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in der ersten Reihe der Verantwortung. Sie müssen ihre bekannten Produkte nun in höherer zeitlicher Anspannung reproduzieren, was automatisch zu Druck in den entsprechenden Lieferketten führt. Schwachstellen in der Vormaterialversorgung oder im Workflow bestimmter Lieferketten-Glieder müssen sofort erkannt und beseitigt werden. Solche Schwachstellen liegen keineswegs immer nur auf Seiten der Auftragnehmer. Es kann sich auch um Verzögerungen bei Mitwirkungshandlungen der öffentlichen Seite handeln – etwa in Form der Erteilung notwendiger Zertifikate durch die Wehrtechnischen Dienststellen im Geschäftsbereich der Bundeswehr-Beschaffung oder um Sicherheitsermächtigungen, die von Beschäftigten der Industrie benötigt werden, wenn sie mit geheimgeschützten, eingestuften Informationen umgehen müssen.

Dann muss für die entsprechenden Mitarbeiter beim Bundeswirtschaftsministerium eine Sicherheitsermächtigung zum Umgang mit derart klassifizierten Informationen eingeholt werden, deren Bearbeitung auf Seiten der Landesverfassungsschutzämter jedoch oft Monate in Anspruch nimmt.

Eine gute Nachricht ist, dass sich für das von der Industrie zu leistende „Upscaling“ viele Unternehmen zur Unterstützung sowohl mit sachlichen als auch personellen Ressourcen anbieten – teilweise sogar mit kompletten Werken, die sie gerne in den Dienst beschleunigter Rüstung stellen wollen. In manchen dieser angebotenen Fälle ist der Schritt aus dem Automobilzulieferbereich zur Rüstung zu groß, als dass man ihn schnell gehen könnte. In anderen Fällen jedoch erweisen sich diese Angebote als hochinteressant.

Hier ist vor allem ein schnelles „Matchmaking“ vonnöten, also das Zusammenbringen geeigneter Angebote mit geeigneter Nachfrage auf einer professionell gestalteten Plattform. Diese Plattform hat der BDSV zusammen mit dem Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) in den letzten Monaten erfolgreich entwickelt. Sie steht allen interessierten Unternehmen zur Verfügung. Die Plattform soll vor allem bewirken, dass dort, wo sich in den Lieferketten das Zuschalten weiterer Ressourcen als erforderlich erweist, sehr schnell eine entsprechende Transparenz über die einschlägigen Angebote hergestellt werden kann. Vor allem geht es hierbei um die Vermeidung von Zeitverlusten durch mühsames Suchen.

Am Ende jedoch obliegt die Frage, wie eine zeitlich stringente Auftragsabwicklung über die Lieferketten hinweg gelingt, in jedem Einzelfall dem Systemhaus, das als Generalunternehmer für den jeweiligen Auftrag fungiert. Deren Zulieferportale bieten dementsprechend auch die abschließende Messlatte dafür, wer dort als Lieferant zum Zuge kommen kann – und wer nicht.

Eine weitere wichtige Facette bildet die Finanzierung des Upscaling-Prozesses. Vor allem nimmt die Bundeswehr selbst Geld in die Hand, um eine ausreichende Vorfinanzierung notwendiger und schnell durchzuführender Investitionen sicherzustellen. Dort aber, wo in den Lieferketten diese Mittel nicht schnell genug ankommen, müssen Banken und private Finanziers bereitstehen.

Tatsächlich hat sich die von der EU unter dem „Green Deal“ zunächst erzeugte Abneigung gegenüber Rüstungsfinanzierungen unter den gegebenen Rahmenbedingungen vielerorts ins Gegenteil verkehrt: Finanzinstitute wollen heute vielfach helfen – entweder mit Krediten oder mit eigenkapitalersetzenden Mitteln. Auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau steht bereit, entsprechende Finanzierungen mit Fördermitteln zu unterstützen. Alles in allem bestehen also gute Voraussetzungen, um das Ziel 2029 auch aus industrieller Sicht zu schaffen.

Im März 2025 gab die EU ein von der Hohen Repräsentantin und Kommissionsvizepräsidentin Kaja Kallas sowie dem EU-Defence-Kommissar Andrius Kubilius verfasstes „White Paper on Joint Defence Readiness 2030“ heraus, dem im Oktober 2025 die „Roadmap Defence Readiness 2030“ folgte.

Die „Defence Readiness Roadmap 2030“ beschreibt einmal mehr die angespannte sicherheitspolitische Lage in Europa. Dass dabei eine starke, resiliente und innovative Industrie- und Technologie-Basis in Europa entscheidende Bedeutung hat, kann nicht oft genug betont werden. Wichtig und terminologisch in EU-Papieren neu erscheint der Gedanke, dass sich unter der Leitung der European Defence Agency (EDA) zwischen einzelnen Mitgliedstaaten „Fähigkeitskoalitionen“ bilden sollen. Unter EDA-Moderation führt dies idealerweise zu einem von den Mitgliedstaaten verabredeten rüstungspolitischen „Bebauungsplan“, wie ihn der BDSV schon früher gefordert hat.

Wie in einigen Medien – z. B. in der FAZ vom 17.10.2025 – zu lesen war, hat sich diese Betonung der Verantwortung der Mitgliedstaaten erst zuletzt im Diskurs zwischen einigen Staats- und Regierungschefs mit der EU-Kommissionspräsidentin herausgebildet. Ähnlich muss es mit der Betonung der Bedeutung der NATO gewesen sein, die wohl vor allem auf Druck von Bundeskanzler Merz deutlich hervorgehoben wurde.

Dass die EU-Mitgliedstaaten laut „Roadmap“ ihre Rüstungsbeschaffung aus Europa fühlbar erhöhen sollen, ist ein von uns absolut unterstütztes Ziel. In ihrem industriebasierten Teil bleibt die Roadmap allerdings wieder recht allgemein. Es werden Erleichterungen im Bereich des Wettbewerbs- und Beihilferechts angekündigt, ohne dass diese bereits präzisiert werden. Auch wird die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz (KI) für Rüstungstechnologien hervorgehoben. Zum kritischen Zugang zu relevanten KI-Trainingsdaten wird jedoch lediglich eine „Beschleunigung der Vereinfachung“ angekündigt – was in der Diktion der Brüsseler Bürokratie auf eine noch anhaltende Debatte in Sachen Datenschutz hindeutet.

Beim Zugang zu kritischen Rohstoffen geht die Roadmap nicht auf die jüngsten Ankündigungen der Volksrepublik China zu weiter verschärften Ausfuhrkontrollen für Seltene Erden sowie damit vermischte Stoffe ein. Die Kommission verharrt hier im Status von Risikoanalysen und Untersuchungen alternativer Bezugsquellen. Auch die EU-Initiativen zur Förderung von Qualifizierungsprogrammen für Beschäftigte, die aus anderen Branchen in die Defence-Industrie wechseln wollen, sind ein positiver Beitrag – ebenso der Abschluss regulatorischer Vereinfachungen für neue Rüstungsprojekte („Defence Readiness Omnibus“) und die Absicht, den Zugang zu Finanzierungen weiter zu erleichtern.

All dies verharrt jedoch im Status von Ankündigungen. Dass die Kommission für Mitte 2026 einen europäischen „Defence Industry Summit“ ankündigt, ist ebenfalls zu begrüßen, darf aber nicht auf Konferenzaktionismus beschränkt bleiben.

Fazit: Das Roadmap-Papier ist voller guter Statements, Ankündigungen und Appelle. Ob wir aber 2030 „Defence Readiness“ erreichen werden oder nicht, hängt in allererster Linie von den Mitgliedstaaten mit den großen Budgets ab!

Damit nochmals zu uns in Deutschland: Mit den Haushaltsansätzen der kommenden Jahre für Rüstung und für militärisch relevante Infrastruktur haben wir uns viel vorgenommen. Mit der Erleichterung der Regulatorik auf deutscher wie europäischer Ebene sind wir auf dem richtigen Weg – wenngleich noch nicht am Ziel.

Nun gilt es, auf Seiten der Beschaffungsverwaltungen vor allem die kurzfristigen Bedarfe beherzt zu bündeln. Auf Seiten der Industrie müssen die Kapazitäten mutig auf das daraus resultierende Niveau skaliert werden. Die Dynamik in unserer Wirtschaft, diesen Prozess aus allen möglichen anderen Branchen tatkräftig zu unterstützen, ist beachtlich. Nun gilt es, diese Dynamik in produktive, also strukturierte Bahnen zu lenken. Genau dazu wollen wir als Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie mit der von uns initiierten und vom Bundesverband für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik umgesetzten Matchmaking-Plattform einen Beitrag leisten.

Lassen Sie uns guten Mutes sein, dass uns dies gelingt – und wir dazu beitragen können, dass wir spätestens 2029 rundherum abschreckungs- und verteidigungsfähig aufgestellt sein werden.

Dr. Hans Christoph Atzpodien ist                                                                                Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Dt. Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V. (BDSV), Berlin 

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