Eindrücke von der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz aus erster Hand

 

Bildquelle: MSC/Preiss

Analyse der Sicherheitskonferenz von Martin Schelleis, Februar 2025

Allgemeiner Überblick 

Die diesjährige Sicherheitskonferenz war wohl die bisher größte ihrer Art. Über 60 Staats- und Regierungschefs, mehr als 100 Minister, zahlreiche Abgeordnete – vor allem aus Deutschland und den USA –, hochrangige Militärs, Wirtschaftsführer, Geheimdienstler, Wissenschaftler und Top-Medienvertreter kamen zusammen. Die Kernteilnehmerzahl lag bei etwa 500, mit über tausend weiteren Personen in der Peripherie und Tausenden an Begleitpersonal. Allein die Delegation des US-Vizepräsidenten umfasste 500 Personen.

Neben dem Hauptprogramm gab es eine kaum überschaubare Vielzahl an Side-Panels und Nebenveranstaltungen, teilweise auch außerhalb des Bayerischen Hofes. Thematisch deckte die Konferenz eine breite Palette ab. Dennoch dominierten aufgrund aktueller Ereignisse – insbesondere Trumps und Putins Positionen zur Ukraine sowie die Rede von US-Vizepräsident Vance – erneut die Themen transatlantische Sicherheit und Russland.

Die Kapazitätsgrenze der MSC scheint nun erreicht. Das Gedränge im Bayerischen Hof wurde als zunehmend unerträglich empfunden. Um eine gewisse Exklusivität und inhaltliche Tiefe zu bewahren, wird eine stärkere Fokussierung notwendig sein.

Eigene Rolle 

Teilnahme an Veranstaltungen im Haupt- und Nebenprogramm, verschiedene Presse- und Hintergrundgespräche sowie eine Keynote-Rede bei der Münchner Sektion der Gemeinschaft für Sicherheitspolitik (GSP).


Einzelaspekte

1. Die US-Position und Reaktionen darauf

  • US-Militärs und Diplomaten versuchten im Vorfeld, die erwarteten US-Forderungen als nicht neu darzustellen. Offensichtlich waren sie aber selbst nicht vollständig über den Inhalt der Vance-Rede informiert.
  • Europäische Vertreter zeigten sich einsichtig, übten Selbstkritik über nicht eingehaltene Zusagen und verstanden die US-Forderungen nach einer stärkeren Lastenteilung („burden shifting“). Gleichzeitig herrschte große Sorge darüber, dass die USA ihre Führungsrolle in Europa aufgeben könnten.
  • US-Vertreter versuchten zu beschwichtigen: Eine Truppenreduzierung in Europa um 20 % (auf 80.000 Soldaten) sei möglich, aber der nukleare Schutzschirm stehe nicht zur Disposition.
  • Auch US-Vertreter zeigten sich unzufrieden darüber, dass Trump seine Verhandlungstrümpfe mit Putin bereits im Vorfeld öffentlich gemacht hatte.
  • Nach der Rede versuchten US-Vertreter zu relativieren: Die Trump-Administration sei noch neu im Amt, und die Details der Politik würden sich noch entwickeln. Europäer sollten sich zudem nicht so empfindlich zeigen – offenbar hatte die monatelange Kritik an Trump und den Republikanern ihre Spuren hinterlassen.

2. Wirtschaftliche Überlegungen

  • Fuest (ifo-Institut) argumentierte, dass eine Anschubfinanzierung für zusätzliche Verteidigungsausgaben unumgänglich sei. Langfristig müssten diese jedoch in den Kernhaushalt überführt werden, was eine Umstrukturierung auf Kosten des Wohlfahrtsstaates erfordere.

3. Panel zur Zukunft des Libanon

  • Das Panel, organisiert von der Ordensregierung aus Rom in Zusammenarbeit mit der LIB-Assoziation, startete chaotisch als eine Art Familientreffen von (Exil-)Libanesen.
  • Mit der Zeit füllte sich der Raum, insbesondere mit Journalistinnen.
  • Einigkeit bestand darüber, dass die aktuelle Schwächung der Hisbollah eine große Chance für das Land darstelle. Die staatlichen Institutionen müssten nun unter internationaler Unterstützung das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen.
  • Uneinigkeit herrschte darüber, ob die Hisbollah in diesen Prozess eingebunden werden sollte.

Zentrale Redebeiträge

US-Vizepräsident Vance:

  • Die größte Gefahr für Europa gehe nicht von Russland oder China aus, sondern von innen.
  • Warf Europa vor, gemeinsame Werte zu verraten:
    • Kritik an Rumänien für die Annullierung der Präsidentschaftswahlen
    • Kritik an Deutschland wegen der Isolation der AfD
    • Kritik an Schweden wegen der Verfolgung religiöser Minderheiten
    • Kritik an Großbritannien wegen der Verhaftung eines Abtreibungsgegners
  • Bezeichnete Migration als größte Bedrohung für die Sicherheit, verwies auf den Anschlag in München.
  • Lobte die USA unter Trump als „Hort der Meinungsfreiheit“.
  • Bezeichnete den Begriff „Desinformation“ als „ugly word“.
  • Zweifelte an einem klaren europäischen Bekenntnis zu gemeinsamen Werten mit den USA. Falls sich dies bestätige, könnten die USA Europa nicht mehr schützen.

BM Pistorius:

  • Energische Replik auf Vance: Vergleich Europas mit autoritären Regimen sei nicht akzeptabel.
  • Erteilte einem schwachen Frieden für die Ukraine eine klare Absage.
  • Betonte die Notwendigkeit einer aktiven europäischen Rolle in den Ukraine-Friedensverhandlungen.
  • NATO-Mitgliedschaft der Ukraine sei weiterhin auf dem Tisch.
  • Verwies auf eine Roadmap der europäischen NATO-Verteidigungsminister zur Umsetzung des „burden shiftings“.
  • Entwickelt einen deutschen 10-Jahresplan zur langfristigen Stabilisierung der Verteidigungsausgaben.

BK Scholz:

  • Wies Vances Demokratiebelehrung und Wahlkampfeinmischung scharf zurück.
  • Plädierte für eine Ausnahme von der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben.
  • Lehnte Einschnitte in anderen Haushaltsposten zugunsten der Verteidigung ab.
  • Glaubt sich im Einklang mit der Bevölkerung: Höhere Verteidigungsausgaben ja, aber nur durch neue Schulden.

UKR-Präsident Selenskji:

  • Sprach Putin den Willen zum Frieden ab, verwies auf eine Drohnenattacke auf Tschernobyl.
  • Warnte vor einem möglichen Überraschungsangriff Russlands auf NATO-Territorium über Belarus.
  • Entwarf eine sicherheitspolitische Vision für Europa ohne die USA und Russland.
  • Plädierte für eine starke europäische Armee unter Einbeziehung der Ukraine.
  • Bezifferte die russischen Verluste auf 250.000 Tote und 610.000 Verwundete.
  • Falls keine NATO-Mitgliedschaft für die Ukraine möglich sei, forderte er andere Sicherheitsgarantien entlang der europäischen Ostgrenze.
  • Drängte auf eine aktive europäische Beteiligung an den Verhandlungen zur Ukraine.
  • Zeigte sich offen für eine Stationierung fremder Truppen zur Friedenssicherung in der Ukraine.
  • Deutete einen Gipfel in Kiew am 24. Februar an.
  • Auffällig: Kein spezifischer Dank an Deutschland für bisherige Unterstützung.

Bewertung Die Vance-Rede war kein Ausrutscher, sondern eine bewusste Provokation. Sie wird als Startschuss für eine neue transatlantische Epoche in Erinnerung bleiben – vergleichbar mit Putins Rede von 2007.

Meta-Botschaft 2025: Europa und die USA teilen offenbar nicht mehr dieselben Werte. Falls sich Europa nicht anpasst, wird es kein schützenswerter Partner mehr sein. Zudem sehen die USA Europa eher als Bremser denn als ernstzunehmenden Akteur. Diese Haltung spiegelt sich auch in der US-Absicht wider, zur Ukraine nur im kleinen Kreis zu verhandeln.

Während Pistorius und Scholz wohltuend klar auf Vance reagierten, fehlte eine Antwort auf die übergeordnete Frage der schwächer werdenden transatlantischen Bindung. Selenskji hingegen bot eine klare Vision für die Zukunft: ein starkes Europa mit der Ukraine als integralen Bestandteil.

Martin Schelleis war bis Mai 2024 46 Jahre Soldat der Bundeswehr, zuletzt als Generalleutnant und Inspekteur der Streitkräftebasis. Der Diplom-Kaufmann begann seine Laufbahn als Einsatzpilot und Fluglehrer. Später durchlief er Truppen- und Stabsverwendungen in Bundeswehr und bei der NATO, von der taktischen über die operative bis hin zur politisch-strategischen Ebene. Martin Schelleis sammelte annähernd 2.000 Flugstunden allein auf Tornado, war zweimal in Afghanistan im Einsatz, sieben Jahre Nationaler Territorialer Befehlshaber und kann auf zehn Jahre ministerielle sowie 15 Jahre Erfahrung als Disziplinarvorgesetzter zurückblicken. Seit August 2024 ist er ehrenamtlicher Bundesbeauftragter Krisenresilienz, Sicherheitspolitik und Zivil-Militärische Zusammenarbeit. Martin Schelleis gehört dem RC Köln am Rhein seit 2025 an. 

Die in diesem Text geäußerten Ansichten und Meinungen sind die des Autors und entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung der gesamten Redaktion.