Ein Kommentar von Dr. Klaus Olshausen
So hat Professor Herdegen die Ausgangslage für Israel im Oktober 2023 festgestellt.
Inzwischen sind zwei Jahre militärischer, ja kinetischer Kampf Israels gegen die weiter aktiven HAMAS-Terroristen im GAZA vergangen.
Warum ist der Krieg bisher nicht an ein Ende gekommen? Ein wesentlicher Grund liegt in den diametral entgegengesetzten politischen Zwecken der selbstermächtigten HAMAS-Terroristen und der demokratisch gewählten Regierung Israels. Die HAMAS erklärt als ihren wesentlichen politischen Zweck, den jüdischen Staat Israel im Heiligen Land zu beseitigen. Der Terrorangriff der HAMAS vom 7. Oktober erfolgte mit der Absicht, den israelischen Staat zu erschüttern und dies zu nutzen, um mit Verbündeten in der arabischen Welt und mit dem Iran diesem Ziel näher zu kommen.
Israel, der demokratische jüdische Staat zwischen Jordan und dem Mittelmeer, ist darauf ausgerichtet, alle Staaten, Organisationen und Milizen (als Terrorgruppen) dazu zu bringen, dieses Ziel der Vernichtung Israels aufzugeben. Der brutale Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 führte zur israelischen Entschlossenheit, die HAMAS, die praktisch die Herrschaft über GAZA ausübte, zu zerschlagen, ja zu vernichten.
Auf beiden Seiten existieren also feindselige Absichten, die im Sinne von Clausewitz von sehr starken feindseligen Gefühlen, ja Leidenschaften bestimmt sind. Diese erste Wechselwirkung tendiert im Handeln zum Äußersten. Der Krieg der Terroristen und die darauf folgende Selbstverteidigung Israels haben jeweils das Ziel, „den Gegner zur Erfüllung unseres Willens“ zu zwingen. Da der Krieg „immer der Stoß zweier lebendiger Kräfte gegeneinander ist“, muss dies von beiden Seiten gedacht werden. Und so ergibt sich auch hier eine Wechselwirkung zum Äußersten. Jeder wird seine Anstrengungen nach der Widerstandskraft des anderen bemessen. Diese bestimmt sich im Wesentlichen aus den vorhandenen Mitteln und der Stärke der Willenskraft, die vor allem nach der Stärke des Motivs geschätzt werden kann. Da dies für beide Seiten gilt, liegt hier eine dritte Wechselwirkung zum Äußersten. Diese drei Elemente, die von unterschiedlichen Gegebenheiten bei den Terrorkräften und Israel ausgehen, muss man berücksichtigen, wenn Bundesgenossen der jeweiligen Seite bei der Durchsetzung der beiderseitigen Ziele auf eine Begrenzung des Äußersten einwirken wollen.
Die HAMAS kämpft nicht mit deutlich erkennbaren (Streit-)Kräften, sondern gewinnt ihre Wirkungsmacht durch Angriffe und Organisation in der Mitte der von ihr beherrschten Gesellschaft. Für ihre Wirkmacht wird die zivile Gesellschaft, über die sie herrscht, zur Abwehrwaffe. Das zielt darauf ab, jeden Angriff auf ihre Kämpfer, ihre Einrichtungen und ihre Mittel damit tendenziell und zunehmend massiv zu nutzen und zu erreichen, die Selbstverteidigung Israels bei vielen Regierungen und Gesellschaften auf dem Globus als völlig unverhältnismäßig und völkerrechtswidrig einzuordnen, ja zu verurteilen.
Israels Regierung weiß um die extrem symbiotische Art, in der sich die HAMAS mit all ihren Kräften und der Bevölkerung des GAZA verwoben hat, um sich so vor Angriffen nach dem humanitären Völkerrecht zu schützen, oder eben Angriffe auf sie mit dramatischen Folgen auch für die zivile Bevölkerung als extrem völkerrechtswidrig, ja inhuman zu brandmarken. Israel kämpft – anders als die USA damals gegen die Taliban-Regierung in Afghanistan – nicht gegen einen Staat, weil er Terroristen nicht der Gerechtigkeit übergeben hat, sondern gegen eine Terrororganisation, die die Macht über GAZA ausübt. Insofern handelt es sich nicht um eine Strafaktion, sondern um die Selbstverteidigung gegen Terroristen, die ähnlich wie der sogenannte Islamische Staat in Syrien und im Irak 2015 Herrschaft über GAZA ausüben. Das Zerschlagen der HAMAS als Kraft des Terrors gegen Israel und die Befreiung aller Geiseln nennt Israel als die politischen Zwecke ihres kinetischen Kampfes seit Oktober 2023. Die israelische Regierung muss schon länger erkennen, dass sie die Unterstützung auch im Kreis ihrer „Bundesgenossen“ und Partner für ihre bisherigen massiven Einsätze gegen die HAMAS und damit eben auch gegen die zivile Bevölkerung verliert. Deshalb ist sie nun bereit, den 20-Punkte-Plan Trumps zu akzeptieren und ihre kinetische Selbstverteidigung gegen den Terror zu beenden, wenn die beiden entscheidenden Punkte ihrer eigenen Zielsetzung nun in einem internationalen Prozess verfolgt und erreicht werden. Es ist klar, dass die Argumente des Hauptverbündeten Israels, von dem die entscheidende Hilfe für Israel abhängt, die israelische Regierung zur Zustimmung gedrängt, möglicherweise auch genötigt haben.
Wenn das so ist, müssen jetzt die bisherigen „Bundesgenossen“ der HAMAS, v. a. die arabischen Golfstaaten und die Türkei, Führungspersonen und Kämpfer der HAMAS klar machen, dass die „Palästinenser-Zukunft“ ohne sie gestaltet werden wird, sie ihre Waffen abgeben und ihre politische Macht im GAZA an andere übergeben müssen.
Noch ist unklar, ob das in beide Richtungen gelingen kann. Wenn die von jeweiligen Bundesgenossen und Partnern vorgetragenen und unterstützten Prozesse und Ziele wenigstens für eine Befriedung nicht greifen, ja scheitern, dann werden die Elemente zum Äußersten die Selbstverteidigung wieder bestimmen, bis die Bedrohung ausgeräumt ist.
Über den Autor: Generalleutnant a.D. Dr. Klaus Olshausen war von 2006 bis 2013 Präsident der Clausewitz-Gesellschaft. Zuvor war er Deutscher Militärischer Vertreter im Militärausschuss der NATO, bei der WEU und EU, HQ NATO, Brüssel. Dr. Olshausen gehört dem Fachbeirat des Sicherheitsforum Deutschland und ist Mitbegründer dieser Initiative.
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