BRICS+ – Ein Hoffnungsschimmer für Brasilien in einer neuen multipolaren Weltordnung

Unsere Plattform bemüht sich darum, auch Eindrücke und Analysen aus ferneren Regionen wiederzugeben. Den Anfang macht ein Blick nach Brasilien und die BRICS-Staaten aus argentinischer Sicht.

BRICS ist ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben der ersten fünf Staaten, die sich 2006 zunächst als informelle Vereinigung von Staaten zusammengefunden haben. Die fünf Staaten waren BrasilienRusslandIndien und die Volksrepublik China. 2010 kam die Südafrika hinzu, 2024 dann ÄgyptenÄthiopien, der Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate, 2025 Indonesien. Deshalb wird die Gruppe jetzt BRICS plus genannt.

Von unserem Gastautor Oscar Armanelli

Es ist ein lockerer Zusammenschluss. Die Interessen der Mitglieder kollidieren manchmal. Einig ist sich die Gruppe, dass sie die westlichen Staaten herausfordern will. Eine gemeinsame Strategie gibt es nicht. Es besteht nur eine unsichere Struktur ohne klaren Inhalt oder gemeinsame Ziele. Es gibt keine Verpflichtungen, was es jedoch für neue Mitglieder interessant macht.

Das globale geopolitische Panorama ist in einer Phase des schnellen, sich beschleunigenden Übergangs. Es wird zunehmend komplexer und wird geprägt durch eine klare Konfrontation.

Nach dem 2022 begonnenen Ukrainekrieg hat sich der Graben zwischen demokratischen und autokratischen Regierungen vergrößert und die Konflikte haben sich verschärft (Stent, 2022), was Nationen dazu antreibt, neue Allianzen zu suchen und ihre internationalen Beziehungen neu zu gestalten.

In diesem Zusammenhang hat sich die Bildung und spätere Erweiterung der BRICS, jetzt BRICS+, als eine der bedeutendsten Entwicklungen des 21. Jahrhunderts herauskristallisiert. In diesem sich ständig weiterentwickelnden Panorama ist die Rolle Brasiliens entscheidend – wegen seiner Bedeutung als wichtigste südamerikanische Macht, wegen seiner Rolle als einziger lateinamerikanischer Staat unter den BRICS-Staaten und wegen der neuen Politik, die mit der Rückkehr von Lula da Silva ins Präsidentenamt begonnen hat.

Die BRICS-Gruppe wurde aus drei Gründen erweitert: Da ist zum einen die intensive Ost-West-Konfrontation, zum anderen die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit von Staaten zu intensivieren, die an BRICS+ interessiert sind und zum dritten die Forderung der sog. Knoten-Länder, die strategische Akteure in ihren Regionen und in möglichen Integrationsprozessen sind (Peng 2022). Das Akronym wurde erstmals von dem Ökonomen Jim O´Neill im Bericht 66 von Goldman & Sachs im Jahr 2001 verwendet. In diesem Bericht warnten die Autoren bereits davor, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der damaligen BRICS-Staaten 23 Prozent des globalen BIP ausmachte. Das veranlasste sie damals, die New Development Bank (NDB) und das Contingent Reserve Arrangement (CRA) als Alternativen zu Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) zu gründen. 

Der Vertrag über die NDB wurde erst 2014 unterzeichnet, so dass die offizielle Gründung 2015 erfolgte und 2016 mit einem Kapital von 100 Milliarden US-Dollar den Betrieb aufnahm. Damit erreichte die politische und geopolitische Organisation des Blocks ein neues Niveau. Weitere Länder wie Bangla Desh, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Uruguay haben sich an BRICS beteiligt. Die NDB versteht sich als echte Alternative zur Weltbank. Brasilien hat derzeit mehr Projekte bei der NDB registriert als bei der Weltbank.

Zwei Jahrzehnte nach der Gründung übersteigt das BIP der BRICS-Staaten bereits 40 Prozent des globalen BIP. Dies ist ein außergewöhnliches Wachstum. 

Es ist eine Herausforderung für die alte Ordnung und das Paradox der „Entdollarisierung“, dass diese alte Ordnung nichts anderes zu bieten hat als die abgedroschenen neoliberalen Rezepte und die des IWF. Es ist notwendig, über die neuen Herausforderungen nachzudenken, die sich für Nationen mit kolonialer Vergangenheit wie Brasilien stellen, und sich dann zu fragen, welche möglichen Auswirkungen dieses neue internationale Design auf die neue internationale Arbeitsteilung haben wird.

Trotz der Stärke und der Macht ihrer Mitglieder hat sich die BRICS+-Gruppe nicht als Militärbündnis konstituiert – und beabsichtigt dies auch nicht. Die BRICS-Staaten konzentrieren sich auf tiefgreifende Diskussionen über die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Realitäten ihrer Mitglieder. Ein entscheidendes Thema für einige Mitglieder der BRICS+, insbesondere für Russland, China und jetzt die Vereinigten Arabischen Emirate ist die Förderung des Vorschlags, die Wirtschaftsbeziehung zu „entdollarisieren“. Dieser Impuls ist stärker geworden, weil Russland, China und auch Brasilien zunehmend andere Währungen bei grenzüberschreitenden Transaktionen verwenden (Kavanagh, 2023).

Es besteht kein Zweifel, dass die BRICS+-Gruppe das wichtigste Vehikel für die Artikulation des globalen Südens gegen die alte Vorherrschaft des globalen Nordens ist, insbesondere gegen den US-Imperialismus und die Kolonialmacht Europa. BRICS+ strebt – zumindest im Moment – nicht danach, ein weltweites Bündnis zu werden, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war. Sie präsentiert sich als „Club der Regierungen“, ähnlich der G7, aber mit dem Ziel, den Aufbau der Infrastruktur zu erleichtern, zu steigern und zu finanzieren sowie die „Entdollarisierung“ des Handels zwischen ihren Partnern zu erreichen.

Dennoch weist Toussaint (2024) auf ein Paradoxon hin: Während die Wünsche nach Souveränität der BRICS-Staaten verbreitet werden, verwaltet deren jeweilige Bourgeoise das Kapital nach neoliberalen Grundsätzen und hält, mit Ausnahme Chinas, ihre Zentralbanken unter den Diktaten des Finanzkapitals. Diese Analyse führt uns zu der Frage: Stellt die BRICS+-Gruppe in einer Welt im Übergang zu einer multipolaren Ordnung eine wirklich emanzipatorische Kraft dar, die in der Lage ist, eine neue, nicht zerstörerische und gerechte Zivilisation zu schaffen – oder ist sie einfach eine neue Machtkonfiguration des gleichen kapitalistischen Systems ohne wesentliche Lösungen für ein Ende der sozialen und ökologischen Ausbeutung zu bieten?

Die Analysen deuten darauf hin, dass die BRICS+-Gruppe, obwohl sie ein wichtiger Akteur bei der Herausforderung alter imperialistischer Ordnung ist und eine größere Selbstbestimmung der Völker fördert, sich jedoch nicht als wirklich transformative Kraft etabliert hat. Dies zeigen ihre internen Widersprüche, ihre Unfähigkeit, eine gemeinsame Sozial- und Umweltpolitik zu entwickeln. Ihr Festhalten an den Praktiken von Ausbeutung von Arbeit und natürlichen Ressourcen deuten darauf hin, dass der Block derzeit eher als eine neue Form der Artikulation von Regierungen innerhalb der Grenzen des globalen Kapitalismus fungiert als vielmehr als Katalysator für einen zivilisatorischen Wandel.

Dennoch bedeutet BRICS für Brasilien:

  • Geopolitische Brücke: Als wichtigste Macht Südamerikas und einziges lateinamerikanisches Land in BRICS bildet Brasilien eine strategische Brücke zwischen seiner Region und dem Rest der Länder des „globalen Südens.“
  • Finanzielle Alternative: Die Gründung der New Development Bank (NDB) ist besonders vorteilhaft. Brasilien hat mehr Projekte bei der NDB registriert als bei der Weltbank. Das bietet eine alternative und konkrete Finanzierungsquelle außerhalb der traditionellen Bretton-Woods-Institutionen.
  • Wiedererlangung des Protagonismus: Mit der Rückkehr von Lula da Silva an die Macht hat Brasilien ein neues Kapitel seiner Außenpolitik aufgeschlagen. Es will seine führende Rolle auf internationaler Ebene wiedererlangen. Sein Vorschlag eines „Clubs von Friedensunterhändlern“ im Ukraine-Konflikt stärkt beispielsweise sein Bestreben nach einer aktiveren und diplomatischeren Rolle auf der Weltbühne. 
  • Zugang zu einem Partnernetzwerk: Als „Knotenland“ profitiert Brasilien von der Möglichkeit, die Zusammenarbeit mit anderen aufstrebenden Mächten zu vertiefen und seine Position in regionalen Organisationen zu stärken, was seine Allianzen diversifiziert und die Abhängigkeit von den traditionellen Mächten verringert.

Quellen:

Giaccaglia, C y Dussort, M. (2023). Los BRICS y sus vínculos con América Latina y el Caribe en el marco de un orden permeado por la guerra ruso-ucraniana. ¿Qué rol juega el nuevo gobierno de Lula da Silva? En: Análisis Carolina, ISSN-e 2695-4362, Nº. 4, 2023

Oviedo, E. D. (2018): “América Latina: ¿Extensión natural de la Ruta de la Seda?”, Revista ComercioExterior, Bancomext. Disponible en: Disponible en:  . https://www.revistacomercioexterior.com/america-latina-extension-natural-de-la-ruta-de-la-seda   

Peng, P. (2022): “Great power conflict fuels BRICS expansion push”, The Diplomat (13/07/2022). Disponible en: https://thediplomat.com/2022/07/g reat-power-conflict-fuels-bricsexpansion-push/

Sanahuja, J. A. (2022): “América Latina: una región ausente en un orden internacional en crisis”, en SANAHUJA, J. A y STEFANONI, P. (eds.): América Latina: transiciones ¿hacia dónde? Informe anual 2022-2023, Madrid, Fundación Carolina 

Shepherd, C. y Chiang, V. (2023): “Un año después, China culpa a la “hegemonía” estadounidense -y no a Rusia- de la guerra en Ucrania”, Infobae, Buenos Aires (22/02/2023). Disponible en: https://www.infobae.com/america /wapo/2023/02/22/un-anodespues-china-culpa-a-lahegemonia-estadounidense-y-noa-rusia-de-la-guerra-en-ucrania/

Stent, A. (2022): “The West vs. the Rest”, Foreign Policy. Disponible en: https://foreignpolicy.com/2022/05

Toussaint, E. (2024) Are the  BRICS  and  Their  New  Development  Bank  Offering Alternatives to the World Bank, the IMF and the Policies Promoted by the   Traditional   Imperialist   Powers? Counter  Disponible en:   https://www.counterpunch.org/2024/04/24/are-the-brics-and-their-new-development-bank-offering-alternatives-to-the-world-bank-the-imf-and-the-policies-promoted-by-the-traditional-imperialist-powers/

Vadell, J. (2018): “El Foro China-CELAC y el nuevo regionalismo para un mundo multipolar: desafíos para la Cooperación ‘Sur-Sur’”, Carta Internacional, XIII.1, pp. 6-37. DOI: https://doi.org/10.21530/ci.v13n1. 2018.733

Unser Gastautor ist Oscar Armanelli, Brigadegeneral außer Dienst der argentinischen Streitkräfte. Bis zu seiner Pensionierung im Januar 2025 war er Kommandeur der argentinischen Heeresgeneralstabsakademie (Escuela Superior de Guerra) und Dekan der Heeresfakultät (Decano de la Facultad del Ejèrcito). Er gilt als Spezialist auf den Gebieten „Internationale Beziehungen“, „Vergleichende politische Analysen“ und „Nationale Verteidigung“. Er hält einen PhD in Politikwissenschaften der „Universidad de Belgrano (Buenos Aires)“ sowie einen Masterabschluss auf dem Gebiet „Peace Keeping Operations“, erworben an der chilenischen Heeresgeneralstabsakademie (Academia de Guerra) in Santiago de Chile.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert