Das kürzlich geschlossene Zoll- und Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und den Vereinigten Staaten von Amerika schlägt weiterhin medial hohe Wellen. Es wird kritisiert als einseitig zugunsten der USA und als nachteilig für die EU. Jenseits der Frage der Bewertung wird Folgendes noch einmal klarer für einen Politologen und Amerikaforscher: Das Trennende zwischen „EU-Europa“ und Amerika wird zunehmend größer unter US-Präsident Donald J. Trump. Eine Zeitenwende in den transatlantischen Beziehungen kündigt sich an. Umso wichtiger wäre es jetzt, die richtigen Schlussfolgerungen daraus auf europäischer Seite zu ziehen, nämlich die strategische Autonomie der EU endlich konsequent voranzubringen. Denn auf Dauer wird das der einzige Weg sein, um EU-Europa in einer neuen Weltordnung mit neuen Spielregeln in der internationalen Politik überlebensfähig zu machen: Die USA unter Trump, China unter Xi Jinping und Russland unter Putin geben sie vor. Dies sind die neuen Realitäten in der Weltpolitik.
Von Dr. Sascha Arnautović
Die Frage der Bewertung des EU-USA-Abkommens vom 27. Juli 2025 in Schottland, ausgehandelt zwischen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und US-Präsident Donald Trump, sei hier nur kurz angesprochen: Einerseits ist diese Einigung gewiss keine Sternstunde für die europäische Diplomatie, andererseits steht die EU – das gehört auch zur Wahrheit – sprichwörtlich mit dem Rücken zur Wand. Ganz ohne die USA als Wirtschafts- und Handelspartner wird es – zumindest bis auf Weiteres – nicht gehen, besonders wenn es um die Ausfuhren aus der EU geht. Jedoch auch bei den Einfuhren in die EU kann es sich Brüssel nicht erlauben, auf eine – wie auch immer geartete – Zusammenarbeit mit Washington zu verzichten. Wenn überhaupt, dann lässt sich ein solch starkes Abhängigkeitsverhältnis von den USA nur mittel- bis langfristig verringern oder gar auflösen. Auch hierfür braucht es auf Dauer eine kluge EU-Strategie. Überhaupt ist die Frage der Strategiefähigkeit für die europäische Seite der Schlüssel zu größerer Unabhängigkeit und damit auch zu weniger Erpressbarkeit. Trumps Politik des maximalen Drucks zeigt sich an diesem konkreten Beispiel ein weiteres Mal neben seiner erpresserischen Bündnispolitik im Kontext der NATO, sprich des westlichen Verteidigungsbündnisses. Kurzum: Das sind die nüchternen Fakten, die zur Kenntnis genommen werden müssen.
Zurückkommend auf die missliche Lage der EU und damit auch der Bundesrepublik Deutschland – ein Land, dessen Schicksal untrennbar mit dem Erfolg Europas verbunden ist –, die einmal mehr deutlich macht, dass noch viel Luft nach oben ist für die europäische Politik. Grundsätzlich gilt: Solange das Einsehen einzelner EU-Mitgliedstaaten wie Ungarn und die Slowakei, die immer wieder wichtige Prozesse zur Erreichung substanzieller Fortschritte in der Union blockieren, ausbleibt, wird es eine große Herausforderung für Brüssel darstellen, entscheidende Fortschritte zu erzielen. Einzig eine „Koalition der Willigen“ wäre noch ein Ausweg aus der Misere, zumindest so lange, bis das Einstimmigkeitsprinzip – bei grundlegenden Fragen die EU betreffend – endlich aufgehoben werden kann, sodass Mehrheitsentscheidungen (Stichwort: „qualifizierte Mehrheit“) möglich sind. Ansonsten wäre es noch wichtig, die Stärkung des europäischen Gedankens und der europäischen Solidarität zu fördern. Hierdurch könnte das Bewusstsein für gemeinsame Werte und die Bedeutung eines geeinten Europas geschärft und der Zusammenhalt zwischen den EU-Mitgliedstaaten gestärkt werden. Gerade auch die Betonung gemeinsamer Werte wie z. B. Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sollte eigentlich das einigende Band zwischen den EU-Staaten sein und dazu führen, dass kontraproduktive nationale Egoismen überwunden werden – im Sinne und zum Wohle EU-Europas.
Nicht minder bedeutsam wäre es, insbesondere aufgrund der noch weiter anhaltenden wirtschaftlichen, handelspolitischen und vor allem auch sicherheitspolitischen Abhängigkeit Europas von den USA, sich im europäischen Rahmen Gedanken dazu zu machen, wie die transatlantischen Beziehungen an die neuen Realitäten unter „Trump 2.0“ angepasst werden könnten. Dabei müssen die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten genauestens beobachtet und analysiert werden, damit daraus die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden können. Ein „Weiter so“ darf es nicht geben, da die bisherigen europäischen Grundannahmen im Hinblick auf die Politik gegenüber den USA nicht mehr zutreffen. Gleichzeitig sollte Brüssel zukünftig ein klares und entschlossenes Auftreten zeigen, weil nur Stärke Trump als amtierender US-Präsident, der immerhin noch bis Januar 2029 regiert, beeindrucken wird. Schwäche darf insofern von europäischer Seite – allein schon aus psychologischen Erwägungen heraus – nicht gezeigt werden. Andernfalls wird dies Donald Trump dazu bringen, noch stärker zurückzuschlagen und in Bezug auf seine Forderungen an die EU die Grenzen der Zumutbarkeit noch weiter auszutesten. Dazu darf es Brüssel nicht kommen lassen – bei allem Verständnis für die redlichen Bemühungen des EU-Führungspersonals um ein akzeptables Verhältnis zum derzeitigen US-Präsidenten.
Letztendlich geht es um die kontinuierliche Steigerung der Handlungsfähigkeit EU-Europas über die nächsten fünf bis zehn Jahre. Besonders Deutschland als europäische Führungsmacht, aber auch andere relevante und potente europäische NATO-Mitgliedstaaten wie Frankreich und Polen sind gefordert, verschiedene Ansätze und Strategien im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu entwickeln, sodass sich dadurch die bisherige Abhängigkeit von den USA zunehmend verringert. Hierfür braucht es natürlich das entsprechende Geld, damit militärische Fähigkeiten – jenseits amerikanischen Zutuns – sukzessive aufgebaut werden können. Nur so kann die europäische Hilflosigkeit in außen- und sicherheitspolitischer Hinsicht ein Ende finden. Aber Geld allein ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss: Es braucht, wie bereits erwähnt, insbesondere europäische Handlungsfähigkeit. Dies sollte das anzustrebende Ziel sein. Betrachtet am Beispiel Deutschlands geht es darum, bezüglich der lange Zeit kaputtgesparten Bundeswehr einen Umschwung herbeizuführen, sodass sowohl Einsatzbereitschaft als auch Schlagkraft deutscher Streitkräfte optimiert werden können. Das Beschaffungswesen der Bundeswehr muss ebenfalls in Angriff genommen werden, will die Truppe auch in dieser Hinsicht schlagkräftiger werden. Mit anderen Worten: Es gibt viel zu tun. Und so gilt es, einige – nicht unerhebliche – Herausforderungen im Hinblick auf die Bundeswehr zu meistern. Auch die Frage der Wiedereinführung der Wehrpflicht angesichts des vorhandenen Personalmangels steht zur Debatte.
Die NATO steht ebenfalls im Blickpunkt: Es spricht einiges dafür, dass die Atlantische Allianz als politischer Rahmen genutzt werden könnte, um auch in diesem Kontext dafür zu sorgen, dass die Handlungsfähigkeit Europas eine Steigerung erfährt. Ein problematischer Punkt könnte allerdings sein, dass dafür eine NATO-Reform vonnöten wäre. Wie US-Präsident Donald Trump darauf reagieren würde, ist schwer einzuschätzen. Fakt ist: Das Risiko eines fundamentalen Konflikts zwischen den USA und den europäischen NATO-Mitgliedstaaten wäre nicht gering. Trump könnte einmal mehr darüber nachdenken, die Atlantische Allianz zu verlassen. Um nochmals darauf zurückzukommen, was dafür spricht, einen solchen Schritt im gemeinsamen europäischen Interesse zu wagen: Im Kern würde es darum gehen, die Fähigkeit zum Zusammenspiel unterschiedlicher Systeme zwecks einer effektiven und reibungslosen Zusammenarbeit der Streitkräfte im Allianzrahmen, in der Fachsprache „Interoperabilität“ genannt, nicht allein der NATO-Führungsmacht USA und deren Standards zu überlassen, sondern auch andere Standards zuzulassen. Ein weiterer wichtiger Punkt wäre, die NATO-Kommandostruktur zu reformieren, damit es zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen den USA und den europäischen NATO-Staaten hinsichtlich der militärischen Spitzenpositionen im Bündnis kommt. Wünschenswert wäre abschließend noch, dass künftig die europäischen Staaten in der Allianz stärker mit einer Stimme sprechen, um auf diese Weise mehr politisches Gewicht zu bekommen. Sollte all dies zum Scheitern verurteilt sein, bliebe dann nur noch als letzter Ausweg für die europäischen NATO-Mitgliedstaaten, ihre Verteidigung im Hinblick auf den Kontinent Europa auszulagern.
Auch in wirtschaftlicher und handelspolitischer Hinsicht geht es im transatlantischen Verhältnis nicht mehr länger ohne die Bereitschaft zum Wandel. „Business as usual“ funktioniert auch in diesem Zusammenhang nicht mehr. Ohne Frage: Das sind schmerzhafte, aber notwendige Erkenntnisse für EU-Europa. Denn es ist ein europäisches Interesse, für den Erhalt einer funktionierenden Weltwirtschaft einzustehen, die von multilateralem Handeln und von großer Offenheit geprägt ist. In diesen Kontext gehört auch die Notwendigkeit zu einer grundlegenden Reform der Welthandelsorganisation (WTO). Doch damit nicht genug: Hinzu kommt, dass sich die EU-Staaten im neuen Zeitalter der „Geoökonomie“, verstanden als eine Möglichkeit, in der Außen- und Außenwirtschaftspolitik ökonomische Mittel zur Durchsetzung von machtpolitischen Interessen zu verwenden, befinden. Wirtschaftsbeziehungen werden dadurch vermehrt durch geopolitisches Denken beeinflusst. Darüber hinaus bedeutet dies, dass der zuvor beschriebene neue Trend dazu führt, dass in erster Linie Staaten, aber durchaus auch wirtschaftliche Akteure dazu übergehen, verstärkt mit Druck gegenüber anderen Ländern zu agieren. Besonders China, aber auch die USA unter Trump bewegen sich eindeutig in diese Richtung. Russland hingegen ist erst einmal außen vor. Je nach weiterem Verlauf des Ukraine-Krieges könnte die Russische Föderation jedoch später ebenfalls zu dieser Gruppe von wirkmächtigen Staaten zählen. Dann könnte Moskau nämlich wieder zum ursprünglichen Kurs (Stichwort: „Erdgas als Waffe“) zurückkehren. Gegenmachtbildung in ökonomischer Hinsicht wäre dann vonseiten der EU fast schon gesetzt, will die Union nicht in der Bedeutungslosigkeit verschwinden. Eine solche Maßnahme Brüssels wäre durchaus realistisch und umsetzbar, da – im Gegensatz zur militärischen und sicherheitspolitischen Komponente – die EU handelspolitisch und wirtschaftlich gut dasteht.
Ein wesentlicher Punkt sollte aber an dieser Stelle noch unbedingt Erwähnung finden: Auch das Wertefundament der transatlantischen Beziehungen ist mittlerweile ins Wanken geraten. Dieser Umstand – das gehört zur Wahrheit dazu – hat sich nicht ausschließlich aus den zunehmend problematisch werdenden innenpolitischen Entwicklungen in den Vereinigten Staaten ergeben, die ihren Ursprung in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre haben, als sich die politische und gesellschaftliche Polarisierung im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ in diese Richtung entwickelte. Vielmehr sollte, um das ganze Bild zu haben, noch hervorgehoben werden, dass die übrigen demokratischen Staaten des sogenannten Westens ebenso eine Veränderung erfahren haben, weil sie selbst innenpolitisch in ihren jeweiligen Ländern aufgrund von zunehmendem (Rechts-)Populismus und Nationalismus massiv unter Druck geraten sind.
Auch sollte man sich vor Augen führen, dass es eine enge Verbindung zwischen der Sicherheit Europas und der liberalen Demokratie mit ihrem universellen Wertekanon gibt. Auf den damit einhergehenden Werten fußt die Basis für den politisch-rechtlichen Ordnungsrahmen, der sowohl die Union als auch die Atlantische Allianz betrifft. Ein Einsturz dieser Fundamente wäre mit gravierenden Folgen für den Kontinent Europa verbunden. Doch damit nicht genug: Russland und China, die Speerspitze der autoritären Regime von heute, als Profiteure dieser Entwicklung könnten dazu tendieren, den bisherigen Druck ihrerseits noch weiter zu erhöhen, weil sie darin ihre Chance wittern, um dem von ihnen so verhassten demokratischen Modell des Westens endgültig den Todesstoß zu verpassen. Somit wird deutlich, dass das ohnehin schon beschädigte transatlantische Verhältnis nur noch dadurch zu retten ist, wenn es gelingt, eine klare Botschaft in Form einer Verlautbarung auf den Weg zu bringen, die zum Ausdruck bringt, dass die gemeinsamen demokratischen Werte, Normen und Regeln weiterhin konsequent hochgehalten und verteidigt werden. Das ist der Gradmesser für die Glaubwürdigkeit des Westens. Ein solches Vorhaben unter Donald Trump ist allerdings nur sehr schwer vorstellbar, sodass die Hoffnung eher auf der Zeit nach dessen zweiter Präsidentschaft liegt, wenn bis dahin nicht schon der „transatlantische Spaltpilz“ gewütet und dafür gesorgt hat, dass die bestehenden Gräben sogar noch tiefer geworden sind. Trotz aller Hoffnungen, die in eine Wiederbelebung des transatlantischen Verhältnisses gesetzt werden, muss es einen „Plan B“ geben, der diesseits des Atlantiks in den Schubladen der politisch Verantwortlichen in Brüssel und in den anderen Hauptstädten Europas liegen sollte.
Zurück zu den Fakten: Trumps Abkehr vom Multilateralismus und sein Glaube an die Macht des Stärkeren kommen nicht von ungefähr. Seine Zeit als Immobilienunternehmer hat ihn nachhaltig geprägt – natürlich auch die Erziehung, Vorbilder und Grundsätze. Donald Trumps Politikverständnis ist außenpolitisch im Wesentlichen geprägt von Isolationismus (Stichwort: „America first“) und Transaktionalismus (sprich: einseitiges Verschaffen von Vorteilen im Sinne von „Deals“). Multilateralismus – im Gegensatz zum europäischen Verständnis – begreift der amtierende amerikanische Präsident als nicht hinnehmbare Machtbeschränkung für die Gestaltungs- und Führungsmacht USA. Er wird sich somit verhaltensmäßig nicht wesentlich ändern, sondern seinen politischen Kurs weitgehend beibehalten wollen, ihn vielleicht sogar noch – je nach Lust und Laune – verschärfen.
EU-Europa wäre gut beraten, dies nicht aus den Augen zu verlieren und in Alternativen zu denken. Es wäre wichtig, in den kommenden Jahren eine größere europäische Strategiefähigkeit zu entwickeln, damit der Kontinent Europa auf alle denkbaren Szenarien bestmöglich vorbereitet ist. Eine vorausschauende Politik in einer „Welt im Chaos“ (Aaron Benanav) ist Trumpf. Was es braucht, ist die Einsicht, dass wissenschaftliche Politikberatung durchaus ihre Daseinsberechtigung hat und Berufspolitiker(innen) gut daran täten, öfter einmal auf Politikberater(innen) zu hören und auf deren Expertise vermehrt zu vertrauen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Dr. Sascha Arnautović ist Politikwissenschaftler, selbstständiger Unternehmer, freier Referent und externer Lehrbeauftragter an der Universität der Bundeswehr München. Sein fachlicher Schwerpunkt liegt in der sozialwissenschaftlichen USA-Forschung. Seit März 2006 leitet er in seiner Funktion als Vorsitzender und Geschäftsführer das Kölner Forum für Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik (kurz: KFIBS) – ein eingetragener und gemeinnütziger Verein mit Sitz in Brühl (Rheinland), der Nachwuchskräfte der Geistes- und Sozialwissenschaften unterstützt und fördert. Außerdem leitet er – ebenfalls ehrenamtlich – seit August 2020 die Sektion Köln/Rhein-Erft-Kreis/Euskirchen der Gesellschaft für Sicherheitspolitik e. V. (GSP), die dem Landesbereich III/NRW zugeordnet ist.
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