Jamais deux – sans trois – Minsk III droht

In den Tagen vor Nikolaus lassen eine Reihe von Treffen, Anträgen und Apellen zur Rückkehr des brutalen russischen Krieges Anzeichen erkennen für eine Wiederholung von Vorstellungen, Forderungen, Hoffnungen und Befürchtungen, die im Ergebnis für die Ukraine und nachweislich für Europa weitreichende Folgen haben können. 

Das vollzieht sich vor der im Januar beginnenden zweiten Amtszeit von Donald Trump als 47. Präsident der USA, bei dem in Deutschland begonnenen Winterwahlkampf nach dem Scheitern der Ampelkoalition und der in Frankreich fortbestehenden Lage eines Parlaments ohne Regierungsmehrheiten.

In diesen Tagen jährt sich zum 30. Mal die Vereinbarung der Ukraine, der UdSSR, der USA und Großbritanniens über die Übergabe der ehemals sowjetischen Nuklearwaffen auf ukrainischem Boden an die Russische Föderation. Die Unterschrift unter das Memorandum, mit dem die Unverletzlichkeit der Grenzen der unabhängig gewordenen Ukraine garantiert wurde, haben die USA und Großbritannien nicht veranlasst, Russland bei Verletzungen der Souveränität und Integrität der Ukraine politisch oder gar militärisch mit Erfolg entgegenzutreten.

Im Jahr 2014 und 2015 wurde der Ukraine, einem wesentlichen Partnerland der NATO mit Beitrittszusage und mit einem Assoziierungsabkommen mit der EU, keine wirksame Hilfe geleistet, um die Annexion der Krim zu verhindern und die russisch veranlasste Kriegführung im Donbass wirksam zu beenden. Die beiden Vereinbarungen von Minsk im September 2024 und Februar 2015 eröffneten Russland viele Wege, die Ukraine weiterhin zu destabilisieren.

Also zwei Mal haben westliche Staaten Vereinbarungen erarbeitet und in Minsk sogar der Ukraine eher aufgenötigt, die entweder (wie 1994) im konkreten Fall nicht zur Verteidigung der Ukraine genutzt wurden oder wie in Minsk nur eine scheinbare Beruhigung herbeiführten, die Russland viele Wege offen liess, ihre Politik der Destabilisierung der Ukraine fortzusetzen.

Kurz vor dem 3. Jahrestags der russischen Aggression entwickelt sich eine Lage mit vielfältigen Anzeichen, die erneut zu Ergebnissen führen können, die dem Aggressor Erfolge zubilligen oder sie zähneknirschend hinnehmen.

Erstens besteht bei den Unterstützern der Ukraine keine Übereinstimmung (mehr), dass der Aggressor in der Ukraine gestoppt werden und sich aus der Ukraine zurückziehen muss. Das lässt sich auch daraus ableiten, dass verbreitet wird, Russland werde dann in 4 bis 5 Jahren in der Lage sein, Angriffe gegen NATO-Gebiet zu wagen. Mit einer klaren Politik durch Sanktionen, dem Gewinnen politischer Unterstützung aus dem „globalen Süden“ und schneller und massiver militärischer Unterstützung kann das imperiale Russland gestoppt und jede Gefahr späterer Offensiven minimiert werden. Die Ukraine ist bereit, das mit dem vollen Einsatz für sich selbst, aber eben auch für ein freies Europa fortzusetzen.

Zweitens ist klar, dass diejenigen, die einerseits das Narrativ Russlands vertreten, wonach Russland sich in der Ukraine gegen Bedrohungen durch die NATO verteidigt, und andererseits vertreten – wie in der Bundestagsdebatte am 6. Dezember – der Krieg sei eine Angelegenheit zwischen der Ukraine und Russland, keine Skrupel haben, dem Aggressor den Erfolg zu lassen, damit sie selbst in Frieden gelassen werden. Aber wenn auch Kanzler Scholz jetzt das schnelle Ende des Tötens zum Kriterium eigenen Handelns erhebt, vernebelt er, dass auch er Erfolge Putins einräumen würde. Diese Diktion ist allerdings auch seinem Bestreben zuzuschreiben, sorgenvolle Bürger vor dem 23. Februar auf seine Seite zu ziehen.

Drittens zeigen die drängenden Aufforderungen von Generalsekretär Rutte beim Außenministertreffen der NATO, sehr schnell mehr Waffen aller Art und Munition zu liefern („erste, zweite und dritte Priorität“), dass das bisherige Verhalten der Unterstützer faktisch (bei einigen vielleicht zähneknirschend) auch zu Erfolgen Russlands führen wird.

Viertens gibt die strittige Debatte in der NATO und der EU über den Zeitpunkt und die Art der Sicherheitsgarantien für die Ukraine Putin eine Sicherheit, dass er bei weiteren kinetischen und hybriden Vorstößen gegen das zweitgrößte Land Europas keinen abgestimmten und wirksamen Widerstand zu gewärtigen hat, weder unter dem Artikel 51 der VN Charter und noch weniger unter dem Artikel 5 des Washingtoner Vertrags. Denn viele NATO-Staaten, allen voran die Bundesregierung und die Biden Administration zeigen keine Bereitschaft, mit einer Einladung der Ukraine zur NATO-Mitgliedschaft Putin ein klares Stoppzeichen zu setzen. Offensichtlich nehmen sie eher in Kauf, nach dem Verlust der Ukraine an Russland „jeden Zentimeter ihrer eigenen Gebiete“ gegen ein dann gestärktes Russland zu verteidigen.

Fünftens wird von Regierungen und anderen Politikern nicht klar und mit offensichtlichen Argumenten widersprochen, wenn aktive Selbstverteidigung als Eskalation verleumdet und sogar abgelehnt wird. Selbst Regierungen sind davon nicht frei, wenn sie dringend benötigte Waffen für die erfolgreiche Verteidigung der Ukraine nicht zur Verfügung stellen, weil sie in der sich erfüllenden Selbstabschreckung vor möglichen russischen Maßnahmen gefangen sind.

Alle genannten Punkte zeigen, dass selbst diejenigen, die für eine freie und souveräne (Bundeskanzler Scholz) Ukraine eintreten, aus innen- wie außenpolitischen Gründen einen Weg suchen, den kinetischen Teil des Kriegs in der Ukraine zu beenden oder zumindest mit einer Waffenruhe zu unterbrechen. Wer, wie Professor Hacke, Russland ein Einflussgebiet über seine Nachbarn zugesteht, wird dem zustimmen und sogar betonen, dass man dies Russland schon vor dem Krieg hätte zugestehen müssen. Alle anderen, die in Putin einen Aggressor erkennen, der sogar mehr will, müssen sich eingestehen, dass sie – auch innenpolitisch motiviert – nicht die Kraft, den Willen und Mut sowie Mittel und Entschlossenheit aufgebracht haben, ein Land, das nicht unter russische Herrschaft zurückfallen wollte, vor Krieg, Zerstörung und – zunächst-Zerstückelung zu bewahren. Mit einem Minsk III gibt es keine Aussichten, eine Sicherheitsordnung voranzubringen, die auch nur in der Nähe der Grundsätze der Charta von Paris zu verorten ist.

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