Syrien im Umbruch 

 

In diesen Jahren wird besonders deutlich, wie die Krisen in dieser Welt zusammenhängen. Die Flucht des syrischen Machthabers Asad aus Damaskus hat ein fragiles zwischenstaatliches Gebäude ins Wanken gebracht. Dabei ist die Entmachtung des brutalen Diktators schon allein eine erfreuliche Nachricht. Asad hat sich spätestens im Bürgerkrieg während des arabischen Frühlings vor einer Dekade mit seinen überharten Aktionen gegen das eigene Volk international disqualifiziert. Ob er seither das Land unter seiner Kontrolle hatte, steht auf einem anderen Blatt.

Aber nun nutzten die oppositionellen Kräfte die Phase währen des Waffenstillstands zwischen Israel und der Hisbollah im Libanon, um das Regime Asad wegzufegen. Dass das so schnell gelang, hat viele verwundert. 

Das in Syrien nun entstandene Machtvakuum muss schnell wieder aufgefüllt werden. Die ersten Schritte der oppositionellen Kräfte haben die Hoffnung auf eine bessere Zukunft genährt. Aber noch sind es nur Hoffnungen. Es gibt aus den verschiedenen Gruppen unterschiedliche Hinweise. Da war die Bemerkung, die nachdenklich stimmen muss, dass künftig Frauen als Richter und Anwälte nicht mehr zugelassen sein sollten. Von anderer Stelle hörte man positive Signale, wenn über den Schutz von religiösen und ethnischen Minderheiten gesprochen wurde.

Ursache für den schnellen Erfolg der versammelten Oppositionsgruppen könnten zwei Punkte sein: Zum einen ist einige Tage vor dem Sturm der Opposition auf Damaskus der Waffenstillstand zwischen der Hisbollah und Israel in Kraft getreten, was zahlreiche Kämpfer freigesetzt hat. Zum anderen hat die Türkei Rückenwind für den Vormarsch gegeben. Auf der anderen Seite wirkte das Regime und seine Sicherheitskräfte wenig motiviert, diesen Kampf erneut durchzustehen.

Die Vorgänge in Damaskus haben Russlands Einfluss im Nahen Osten massiv geschadet. Russland hat während des Marsches auf Damaskus beim Kampf um Aleppo mit Kampfflugzeugen noch auf Seiten des Regimes eingegriffen. Am Ende stand Russland mit seinem Verbündeten Asad auf der Verliererseite. Russland konnte nur noch dem abgesetzten Asad eine neue Heimstatt bieten. Das wird sicherlich bei jeder Nachfolgeregierung zu einer reduzierten Kooperationsbereitschaft führen.

Syrien war für Russland in doppelter Hinsicht von Bedeutung. In Syrien hatte Moskau Zugriff auf seinen einzigen Hafen am Mittelmeer. Ein weiterer Stützpunkt im Landesinneren diente als Drehscheibe für die Unternehmungen, die Russland in Afrika durchführte – vergleichbar Ramstein für die US-Armee. Beide Stützpunkte sind zunächst einmal für Russland nicht mehr nutzbar. Zu der geringeren Möglichkeit des militärischen Eingreifens – oder Unterstützens – kommt die Erkenntnis in vielen russlandfreundlichen Hauptstädten, dass Moskau seine Verbündeten doch recht schnell fallen lässt. Deutlich wurde auch, dass Russland mit dem Ukraine-Krieg die eigenen militärischen Möglichkeiten überdehnt hat. Mehr kann sich auch Moskau im Moment nicht leisten.

Der zweite Verlierer ist der Iran. Seine Unterstützung für Asad reichte nicht mehr aus, seinen Abgang zu verhindern. Auch hier kann eine Überdehnung der militärischen Kapazitäten eine Rolle spielen. Die Unterstützung der Hamas, die Bereitschaft, auch der Hisbollah weiterhin zur Seite zu stehen, sowie das Mitmischen im Jemen kann auch für das Regime in Teheran zu viel sein. Jedenfalls wird auch dessen Einfluss geringer werden.

Wer sich vor allem politisch aus dem Rennen in der Region katapultiert hat, ist Israel. Natürlich ist es verständlich, wenn Jerusalem die Chance nutzen will, in dem Vakuum, das durch den völligen Zusammenbruch der syrischen Sicherheitskräfte entstanden ist, alle Waffen zu zerstören, die Israel angreifen können. Aber dies ist dies politisch kaum hinnehmbar. Israel verliert damit wichtiges Ansehen, was seine Möglichkeiten in der Gestaltung der neuen Ordnung in Syrien anbelangt. 

Gewachsen ist dagegen der Einfluss der Türkei. Sie hat den Marsch auf Damaskus entscheidend gefördert. Sie wird eine wichtigere Rolle im Nahen Osten spielen. Aber die Türkei läuft Gefahr, nun auch Teil des Problems der Neuzeit in Syrien zu werden. Ihre Politik gegen die Kurden, die z.T. schon mit 

Gewalt ausgetragen wird, passt nicht in das „Neue Syrien“, das viele, vor allem westliche Staaten nun erreichen wollen.

Der Westen, allen voran die EU, haben nun die Chance, sich da einzubringen. Chance heißt nicht, dass das auch gelingen kann, aber versuchen muss man es. Denn dies ist ein Fall, in dem auch die EU-Staaten identische Interessen haben müssten. Die Werte, die dort jetzt umgesetzt werden müssen, sind – zumindest formal – allen gemeinsam. Dabei ist es ein richtiger Schritt, dass viele EU-Staaten nun Beauftragte eingesetzt haben, die sich um Syrien kümmern sollen. Zudem bieten einzelne Staaten Spezialfähigkeiten an. Ein Beispiel: Syrien verfügt immer noch über chemische Waffen. Deutschland hat in Munster in Niedersachsen eine Anlage, in der die C-Waffen vernichtet werden können. Dort arbeiten entsprechende hochqualifizierte Experten. Diese Anlage ist eine der besten in der Welt, auf jeden Fall die beste in Europa. Da die neue Regierung in Damaskus die C-Waffen erst einmal sichern, später wohl auch vernichten will, ist Deutschland dafür ein Partner.

In Deutschland wird darüber gesprochen, dass syrischstämmige Menschen z.B. als Juristen hochqualifiziert worden sind. Sie könnten bei der Erarbeitung einer neuen Verfassung helfen. Auch im Bereich des Staatsaufbaus und des Aufbaus der Sicherheitskräfte könnte Deutschland helfen.

Aber dies sind zunächst Einzelmaßnahmen. Wichtig ist, dass Europa einen deutlichen Akzent setzt, um das Land wieder aufzubauen. Dabei sollte Frankreich, das traditionell gute Verbindungen hat, eine wichtige Rolle übernehmen. Aber wichtig ist, dass die Europäer insgesamt geschlossen auftreten. Ein Ansatzpunkt wäre: Die EU sollte sehr schnell mit der Türkei sprechen, dass die Türken ihren Kampf gegen die Kurden zumindest auf syrischem Gebiet beenden. Dort müssen alle Volksgruppen und religiöse Gruppen nebeneinander leben können. Die Türkei spielt dabei eine wichtige Rolle. Mit ihr zusammen könnte die EU einige deutliche Akzente setzen. Nur: Das muss jetzt gemacht werden. Die EU-Verfahren müssen immens beschleunigt werden. Die neue EU-Außenbeauftragte sollte schnell in die Türkei fahren. 

In Syrien haben Männer das Sagen, die aus Terrororganisationen kommen (oder diesen noch angehören). Es wird viel Einsatz erfordern, diese davon zu überzeugen, dass freiheitliche Demokratien ebenso leistungsfähig sind. Man muss es nur versuchen. Wie gesagt, ob es gelingt, ist ungewiss. Aber wenn man es nicht versucht, kann es nicht gelingen. Und wenn es gelingt, gewinnt die EU im Nahen Osten an Einfluss.

Der Machtwechsel in Syrien hat auch innenpolitische Folgen, vor allem in einer Zeit, die vom Wahlkampf beherrscht wird. Hier muss Klarheit herrschen. Jene Syrer, die mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit haben, können natürlich in Deutschland bleiben. Das gilt auch für jene, die hier integriert sind und eine Arbeitsstelle haben. Viele von diesen brauchen wir hier sogar. Mit einer kommenden syrischen Regierung sollte man schnell ein Abkommen schließen, dass syrische Straftäter dort zurückgenommen werden. Bleiben zwei Gruppen: Diejenigen, die noch im Asylverfahren stecken oder ohne Verfahren hier leben. Denen sollte man – wenn es eine stabile Regierung in Damaskus gibt – die freiwillige Rückkehr nahelegen. Sie werden dort zum Staatsaufbau gebraucht. Neue Flüchtlinge sollte man sehr genau prüfen. Noch ist nicht bekannt, wie eine neue Regierung mit den Unterstützern Asads umgeht. Es ist natürlich populär, zu sagen, dass man diese in Deutschland auf keinen Fall haben will. Wenn sie aber verfolgt, misshandelt und ohne Gerichtsverfahren eingesperrt werden, steht ihnen das Asylrecht auch zu. Das Asylrecht ist nicht an eine bestimmte politische Meinung gekoppelt. Aber diese differenzierte Sichtweise wird im deutschen Wahlkampf wenig Rückhalt finden.

Rolf Clement  

 

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