Vortrag von Professor Claus Kreß am 6. Oktober 2025 im Belgischen Haus in Köln
Es war zweifellos eines der Highlights im Veranstaltungskalender des Sicherheitsforums Deutschland. Der Vortrag von Professor Dr. Claus Kreß, einem der renommiertesten Straf- und Völkerrechtler des Landes, setzte Maßstäbe.
Weltunordnung und Völkerrecht
Die Welt sei, so lautete der Tenor des Vortrags von Professor Dr. Claus Kreß, aus den Fugen geraten – politisch, militärisch und moralisch. In seinem Beitrag mit dem Titel „Weltunordnung und Völkerrecht“ zeichnete der renommierte Völkerrechtler ein eindringliches Bild der gegenwärtigen Lage der internationalen Ordnung und stellte die Frage, ob das Völkerrecht in Zeiten offener Aggression und wachsender Machtpolitik überhaupt noch Bestand haben könne.
Krisenanzeichen an der Wand
Gleich zu Beginn machte Kreß deutlich, dass die internationale Gemeinschaft an einer historischen Zäsur stand. Der anhaltende Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sei für ihn nicht nur ein eklatanter Bruch des Gewaltverbots der UN-Charta gewesen, sondern auch ein Angriff auf die Idee einer auf Recht gegründeten Weltordnung. Das Völkerrecht, das nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen worden sei, um Krieg als Mittel der Politik zu ächten, werde durch diesen Angriff in seinem Kern erschüttert.
Doch Russland habe in dieser Haltung keine Ausnahme dargestellt. Auch die zweite Administration von Donald Trump in den Vereinigten Staaten habe eine zunehmende „Völkerrechtsferne“ erkennen lassen – eine Haltung, die internationale Institutionen geschwächt und das Prinzip der multilateralen Kooperation infrage gestellt habe. Wenn selbst die führende Macht der westlichen Welt das Recht zugunsten politischer Opportunität relativiere, verliere das gesamte System seine normative Grundlage.
Kreß wies zudem darauf hin, dass andere Staaten – Israel, China, die Türkei und Indien – ihre nationalen Interessen immer stärker über gemeinsame Regeln gestellt hätten. Sie hätten zwar unterschiedliche Motive verfolgt, doch das Ergebnis sei ähnlich gewesen: Die Geltung des Völkerrechts sei zunehmend selektiv anerkannt und damit schrittweise ausgehöhlt worden.
Was stand auf dem Spiel?
Im Kern, so führte Kreß aus, sei es um nichts weniger gegangen als um den Fortbestand der internationalen Rechtsgemeinschaft. Er unterschied dabei zwei Ebenen des Völkerrechts:
Zum einen das Völkerrecht als zwischenstaatliches Koordinationsrecht, das Konflikte begrenzen und Beziehungen zwischen souveränen Staaten ordnen solle. Dieses klassische System sei durch die Rückkehr der Machtpolitik bereits erheblich beschädigt worden.
Zum anderen das Völkerrecht als Recht der internationalen Gemeinschaft, das über bloße Koordination hinaus universelle Werte schützen sollte – Menschenrechte, das Verbot des Angriffskriegs, die individuelle Verantwortung für Kriegsverbrechen. Dieses Recht sei eine der größten zivilisatorischen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts gewesen, geboren aus den Schrecken zweier Weltkriege. Wenn diese Prinzipien nicht mehr durchgesetzt würden, drohe eine Welt, in der Recht wieder zur Disposition der Mächtigen stehe.
Kreß formulierte es damals eindringlich: „Wenn das Recht schweigt, spricht die Gewalt – und sie spricht laut.“
„Überwintern“ und „Verteidigung“
Im dritten Teil seines Vortrags wandte sich Kreß den Handlungsperspektiven zu. Seine Diagnose war eindeutig: Das Völkerrecht stand unter Druck, durfte aber nicht aufgegeben werden. Er prägte dafür zwei Begriffe – „Überwintern“ und „Verteidigung“.
Mit „Überwintern“ meinte er das Bewahren der Idee des Rechts auch in einer Phase politischer Regression – institutionell, intellektuell und moralisch. Europa müsse, so Kreß, die Hüterrolle übernehmen und dafür sorgen, dass die Fundamente des Rechts nicht verloren gingen, selbst wenn sie vorübergehend an Wirksamkeit einbüßten.
„Verteidigung“ hingegen bedeutete für ihn aktives Handeln: die Weiterentwicklung des Völkerrechts angesichts neuer Herausforderungen – Cyberkrieg, Desinformation, hybride Aggressionen – und die Bereitschaft, Rechtsbrüche auch politisch zu sanktionieren. Europa müsse entschlossener, kohärenter und glaubwürdiger auftreten, um zu zeigen, dass Rechtsbindung keine Schwäche, sondern eine Form der Stärke sei.
Kreß schloss mit einem prägnanten Satz, der die Herausforderung auf den Punkt brachte:
„Das Völkerrecht allein wird die Welt nicht retten. Aber ohne Völkerrecht wird die Welt unregierbar.“
Fazit
Der Vortrag von Professor Dr. Claus Kreß war weit mehr als eine juristische Analyse – er war ein Weckruf. Zwischen Erosion und Erneuerung stand das Völkerrecht an einem Scheideweg. Es zu verteidigen hieß, die Idee einer internationalen Gemeinschaft zu bewahren, die sich nicht der Macht, sondern dem Recht verpflichtet wusste. Europa, so Kreß, trug dabei eine besondere Verantwortung: nicht als Zuschauer, sondern als Garant einer Ordnung, die auf Vernunft, Recht und Verantwortung gründete.

Fazit:
Der Vortrag von Professor Dr. Claus Kreß entwirft ein klares, eindringliches Panorama einer Welt im Umbruch. Zwischen Erosion und Erneuerung steht das Völkerrecht an einer Wegscheide – und mit ihm die Idee einer internationalen Gemeinschaft, die mehr sein will als ein Spielplatz der Mächte.
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