„Schutz, Resilienz, Verantwortung – Gesamtverteidigung als Thema für Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft“

Von unserer Autorin Rima El Chaker

Man stelle sich vor, in der nächsten Post befände sich ein Brief der Bundesregierung. Enthalten wäre ein kleines Handbuch mit dem Titel „Im Falle eines Krieges oder einer Krise“. In Deutschland würde dieser Schritt wohl viele Emotionen hervorrufen. Doch wie viele davon wären positiv? In Deutschland wäre so ein Ereignis derzeit wohl undenkbar. In Schweden hingegen ist genau das passiert: Die Regierung verteilte Broschüren an etwa fünf Millionen Haushalte, die auf die genannten Szenarien vorbereiten sollen. Doch wie kommt es, dass die Wahrnehmung in der Bevölkerung bezüglich des Ansatzes einer „Gesamtverteidigung“ so unterschiedlich ist?

Gesamtverteidigung – Erste Hilfe für Staat und Gesellschaft?
Zunächst ist zu klären, worum es sich bei der viel zitierten „Gesamtverteidigung“ überhaupt handelt. Kurz gesagt handelt es sich hierbei um die Kombination aus militärischer und ziviler Verteidigung. Es geht also um das Zusammenwirken der militärischen Akteure eines Staates und seiner zivilen Akteure, etwa zivile Hilfswerke, aber auch die Zivilgesellschaft. Auf den ersten Blick ein harmloses Konzept, da ein solches Zusammenwirken auch bei anderen Fällen wie einer Naturkatastrophe die Regel ist und selbstverständliche Akzeptanz erfährt. Man denke nur an die letzten Hochwasser in Deutschland. Das Problem kann also nicht per se das Prinzip einer Zusammenarbeit zwischen Vertretern der Bundeswehr und Vertretern der Zivilgesellschaft sein. Es scheint vielmehr eine Frage des Begriffs und der damit verbundenen Assoziationen zu sein.

Das Prinzip einer Gesamtverteidigung gibt es in Deutschland bereits seit einigen Jahrzehnten. 1972 erschien das „Weißbuch zur zivilen Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland“. Selbstverständlich ist die Zeit heute eine andere. Selbstverständlich sind auch die Bedrohungen und die Bedrohungslage andere. Dennoch bedeutet Veränderung nicht gleich Wegfall. Im Gegenteil: Die Bedrohungen sind heutzutage, auch durch Globalisierung, Technologisierung und Digitalisierung, vermutlich sogar vielfältiger. Genauso vielfältig werden damit auch die Säulen einer modernen Verteidigung. Gesamtverteidigung betrifft heute eine Kombination aus militärischer Verteidigung, ziviler Verteidigung, wirtschaftlicher Verteidigung, psychologischer Verteidigung, digitaler Verteidigung und sozialer Verteidigung. Es geht also in erster Linie darum, den Staat und die Gesellschaft in ganz unterschiedlichen Situationen resilienter zu machen.

Säulen der Gesamtverteidigung
Diese Resilienz auf Basis der Gesamtverteidigung beruht auf den genannten Säulen. Die erste Säule der militärischen Verteidigung dürfte für viele selbsterklärend sein. Die Bundeswehr muss personell und technisch in der Lage sein, ihren verfassungsrechtlichen Auftrag zur Verteidigung von Deutschlands Souveränität sowie seines Staatsgebiets und zum Schutz seiner Bürger gewährleisten zu können. Dieser Schutz kann, wie bereits erwähnt, auch auf die durchaus erwünschte Hilfe bei etwaigen Naturkatastrophen bezogen sein.

Die zweite Säule, die zivile Verteidigung, ist sicherlich die, die in der Gesellschaft am meisten Widerstand – häufig bedingt durch Angst – auslöst. Dabei geht es hier schlicht darum, auf Krisen vorbereitet zu sein. Das fängt damit an, dass sich die Gesellschaft in Notfällen gegenseitig hilft und dafür im besten Fall in Themen wie dem Katastrophenschutz ausgebildet wird. Dies kann beispielsweise durch die Tätigkeit in einem Hilfswerk erfolgen. Auch die eigene Versorgungssicherheit leistet einen Beitrag hierzu. Krisen können ganz unterschiedlicher Natur sein, und jedes Individuum, das sich in so einem Fall für eine gewisse Zeit selbst versorgen und schützen kann, entlastet das gesamte System. Auch Krankenhäuser gehören zu dieser Art ziviler Verteidigung und sollten in ihrer Arbeit stärker unterstützt werden, indem zum Beispiel ihre Resilienz gegen Stromausfälle oder Lieferengpässe bei Medikamenten gestärkt wird.

Die wirtschaftliche Verteidigung bedeutet in erster Linie, dass auch Unternehmen Sorge dafür tragen, dass die Lieferketten resilient aufgestellt sind und damit genau diese Versorgungssicherheit in unterschiedlichen Feldern gewährleistet ist.

Die psychologische Verteidigung hingegen ist eine Kombination aus Anstrengungen der Zivilbevölkerung und des Staates. Hierbei geht es vor allem um eine ausgebaute Medienkompetenz, die helfen soll, Desinformationen zu erkennen und sich dadurch zu schützen.

Die digitale Verteidigung bedeutet nichts anderes, als unsere gesamten Systeme, darunter auch kritische Infrastrukturen, gegen jegliche Bedrohung zu verteidigen. Beispiele für sogenannte Cyberattacken gibt es zahlreich. Die Abwehr gestaltet sich bis heute leider in vielen Fällen defizitär.

Die letzte Säule, die soziale Verteidigung, schließlich ist eine, die von hoher Bedeutung und dennoch häufig unterschätzt ist. Soziale Verteidigung bedeutet, den Zusammenhalt in der Bevölkerung zu stärken und der Polarisierung und Spaltung entgegenzuwirken, um im Ernstfall füreinander einzustehen. Ein Thema, das gerade in der heutigen Zeit leider immer wichtiger wird. Neben dem Zusammenhalt in der Gesellschaft ist allerdings auch das Vertrauen in den Staat und in Vertreter der Bundeswehr ein wichtiges Thema, das durch Konzepte der Gesamtverteidigung gestärkt werden kann.

Es geht also mitnichten um eine „Militarisierung“ der Zivilgesellschaft und des alltäglichen Lebens, wie es wohl einige Kritiker befürchten. Es geht schlicht darum, jedem Individuum seine eigene Verantwortung für sich selbst und die Gemeinschaft bewusst zu machen und es auf eben diese Verantwortung bestmöglich vorzubereiten. Dieser Gedanke einer Verantwortung gegenüber der gesamten Gesellschaft ist schließlich auch Kerngedanke eines verpflichtenden sozialen Jahres, das deutlich größere Zustimmung genießt. Genau aus diesem Grund ist der regelmäßige und offene Austausch zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft mit all seinen Akteuren unabdingbar. Damit Schutz, Resilienz und Verantwortung als gesamtgesellschaftliche Themen wieder positiv besetzt werden.

Erste Schritte für unsere Sicherheit
Doch wie könnte sich das konkret gestalten? Zunächst geht es um das allgemeine Bewusstsein und Eingeständnis, dass wir derzeit auf eventuelle Krisen nicht ausreichend vorbereitet sind. Ein erster Schritt wäre es also, in einem offenen Austausch mit transparenter Kommunikation die Zivilbevölkerung dazu zu ermutigen, Selbstvorsorge zu treffen und im besten Fall ein Engagement in einem der vielen Hilfswerke aufzunehmen. Die Aufgabe des Staates läge neben der transparenten Kommunikation auch darin, diese Vorbereitungsmaßnahmen so aufzubereiten und zu unterstützen, dass sie für die Zivilgesellschaft möglichst einfach zugänglich sind. Weiterhin sollte man einen multilateralen Ansatz anstreben, da gerade einige europäische Länder im Bereich der Gesamtverteidigung deutlich weiter sind. Ein Austausch auf Regierungsebene, aber auch auf Ebene der Zivilgesellschaft wäre hierbei anzustreben.

Bevor all dies geschehen kann, liegt der erste Schritt jedoch darin, das Bewusstsein in der Bevölkerung darüber zu verändern, dass wir unterschiedlichen Arten von Bedrohungen und Krisen ausgesetzt sind, die sich mit gemeinsamer Anstrengung abfedern oder gänzlich abwenden lassen.

Gesamtverteidigung als gesamtgesellschaftliches Konzept
Gesamtverteidigung bedeutet also nichts anderes, als auf unvorhergesehene Szenarien bestmöglich vorbereitet zu sein. Es geht dabei auch um die Balance zwischen staatlichem Handeln und gesamtgesellschaftlicher Verantwortung.

Rima El Chaker ist Doktorandin der Politikwissenschaft, Jean-Monnet-Lehrstuhl für Europäische Politik an der Universität Passau, Mitglied im Kölner Forum für Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik e.V. und Promotionsstipendiatin der Stiftung der Deutschen Wirtschaft gGmbH.

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