Verletzungen des NATO-Luftraums durch Drohnen und Kampfflugzeuge: Wie wir Putins jüngstes Agieren interpretieren sollten

Ein Kommentar von Politikwissenschaftler Dr. Sascha Arnautović

In Deutschland gibt es nach wie vor einige Politikerinnen und Politiker unterschiedlicher parteipolitischer Couleur, die die Auffassung vertreten, dass sich Friedensverhandlungen mit Putins Russland in jedem Fall lohnen würden. Das schon einmal vorweg: Selbstverständlich sollte alles Erdenkliche unternommen werden, um den Frieden in Europa wiederherzustellen. Jedoch wird in diesem speziellen Kontext häufig verschwiegen, dass die russische Seite gar kein wirkliches Interesse an einem Frieden in der Ukraine hat. Insofern laufen etwaige diplomatische Bemühungen von westlicher Seite zwangsläufig ins Leere. Schließlich braucht es, wenn tatsächlich an einer echten Friedenslösung gearbeitet werden soll, den ernsthaften politischen Willen dazu – und ein solcher ist vonseiten Putins bis auf Weiteres nicht erkennbar. Und wenn überhaupt, wäre ein Friedensschluss gegenwärtig von russischer Seite nur in Form eines Friedensdiktats zulasten Europas und der Ukraine denkbar. Dies wäre allerdings aufgrund der Unverhältnismäßigkeit, Unausgewogenheit und Einseitigkeit nicht akzeptabel. Außerdem spricht auch die aktuelle militärische Lage an der Front in der Ukraine dagegen, haben die russischen Streitkräfte doch momentan die besseren Karten in diesem verlustreichen Abnutzungskrieg. Warum also sollte Russlands Präsident Wladimir Putin Interesse an einem echten Frieden unter diesen Voraussetzungen haben?

Vor diesem Hintergrund wäre es wünschenswert, dass die mahnenden Stimmen hierzulande und die Verfechter diplomatischer Verhandlungen um jeden Preis, sprich koste es, was es wolle, endlich einmal zur Kenntnis nehmen, dass die Zeichen in Moskau auch weiterhin auf Konfrontation mit der Ukraine, den westlichen Staaten und der NATO stehen und eben nicht auf Deeskalation. Auch US-Präsident Donald J. Trump ist bereits diesem Irrtum erlegen gewesen und scheint sich erst jetzt – zumindest zum Teil – in die richtige Richtung zu bewegen, nämlich eine notwendige und längst überfällige Kehrtwende in der US-Ukrainepolitik einzuleiten. Gleichwohl gibt es keine Garantie für die westlichen Verbündeten der USA und für die Ukraine als ein vom Krieg schwer gezeichnetes Land, dass der 47. Präsident der Vereinigten Staaten nicht doch wieder einknickt, sobald sich ein vermeintlich guter Deal mit dem russischen Präsidenten Putin ankündigt. Ein Selbstläufer wird es daher unter diesen Umständen ganz sicher nicht. Gestützt wird diese Annahme ohnehin durch die derzeitigen beunruhigenden Entwicklungen im Hinblick auf nachweislich russische Aktivitäten im NATO-Luftraum, die uns im Westen hellhörig machen sollten. Die bewussten Verletzungen im Luftraum des NATO-Gebietes zeigen einmal mehr die Entschlossenheit Putins, alles Mögliche zu unternehmen, um erstens den Westen mit kleinen Nadelstichen durch russische Drohnen und Kampfjets zu testen und zweitens die Einheit des Westens dadurch herauszufordern – mit dem klaren strategischen Ziel, diese zu untergraben. Russische Cyberangriffe und Desinformationskampagnen sind ohnehin schon längst Realität. Hinzu kommt: Der russische Präsident spielt schon lange nicht mehr nach internationalen Regeln und verstößt durch sein Handeln gegen internationales Recht beziehungsweise gegen das Völkerrecht. Auf westeuropäischer Seite braucht es angesichts dessen unbedingt sowohl Strategiebildung als auch Strategiefähigkeit, die beide überlebensnotwendig sind in diesen krisenhaften und turbulenten Zeiten, denen wir uns gegenübersehen. Auch müssen wir zwingend Antworten auf die damit einhergehenden Entwicklungen finden.

Was genau sollte sich also in Europa ändern? Es wäre angezeigt, die Reihen zwischen den europäischen Ländern und den EU-Staaten zu schließen und endgültig zu verstehen, dass es nur durch Zusammenhalt eine echte Chance auf eine positive Entwicklung für „EU-Europa“ und die Ukraine gibt. Zudem braucht es unbedingt ein konsequentes politisches Handeln gegenüber dem Kreml. Dies schließt ausdrücklich mit ein, dass etwaige Wirtschaftssanktionen in naher Zukunft deutlich und spürbar verschärft werden müssen, um auf diese Weise Moskau in die Knie zu zwingen. Denn ein militärischer Sieg über Putins Russland ist in absehbarer Zeit eher unwahrscheinlich. Gerade die EU-Institutionen in Brüssel sowie die EU-Mitgliedstaaten tragen die Verantwortung dafür, sich vollständig von russischem Gas und Öl loszulösen und eine harte Linie gegenüber dem Kreml zu verfolgen. Nur so ist es vorstellbar, dass Russland unter Putin vielleicht doch noch einlenkt. Fest steht, dass der russische Präsident nur so lange stark sein kann, wie die westliche Welt dies zulässt. Insofern gilt es, die Fehler der Vergangenheit endgültig abzustellen und einen klaren Kurs gegenüber der Russischen Föderation zu haben. Nur so dürfte Wladimir Putin beizukommen sein.

Insbesondere Deutschland muss endlich zu einem klaren und eindeutigen Umgang mit Russland gelangen, und zwar nicht bloß im Sinne der sogenannten Zeitenwende, sondern auch in der Konsequenz des eigenen politischen Handelns. Schließlich war die Bundesrepublik viel zu lange und darüber hinaus auch noch selbst verschuldet von der Russischen Föderation einseitig wirtschaftlich abhängig. Erst der Krieg in der Ukraine seit dem 24. Februar 2022 hat das politische Berlin zum Kurswechsel gezwungen. Insofern wäre es wichtig, dass die neue deutsche Regierung konsequent ihre Unterstützung für die Ukraine fortführt, denn auch damit kann ein klares Signal in Richtung Moskau ausgesendet werden. Letztlich wird nur die Sprache der Stärke vom Kreml verstanden. Dabei ist natürlich einzukalkulieren, dass Deutschland vermehrt Ziel russischer Angriffe verschiedenster Art wird. Dessen sollten wir uns bewusst sein. Aber dagegen muss sich die Bundesrepublik wappnen und zu wehren wissen. Dieser Preis muss politisch von Berlin gezahlt werden.

Dr. phil. Sascha Arnautović ist Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Außen- und Sicherheitspolitik. Außerdem ist er selbstständiger Unternehmer, freier Referent und externer Lehrbeauftragter an der Universität der Bundeswehr München. Seit März 2006 leitet er in seiner Funktion als Vorsitzender und Geschäftsführer das Kölner Forum für Internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik (kurz: KFIBS) – ein eingetragener und gemeinnütziger Verein mit Sitz in Brühl (Rheinland), der Nachwuchskräfte der Geistes- und Sozialwissenschaften unterstützt und fördert. Darüber hinaus leitet er – ebenfalls ehrenamtlich – seit August 2020 die Sektion Köln/Rhein-Erft-Kreis/Euskirchen der Gesellschaft für Sicherheitspolitik e. V. (GSP), die dem Landesbereich III/NRW zugeordnet ist.

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